Die Homöopathie hat ein Problem damit, die angeblich so überragende Wirksamkeit mit wissenschaftlich validen Studien zu belegen. Das ist schlecht fürs Geschäft. Also ist es aus Sicht des weltgrößten Herstellers von Homöopathika folgerichtig, eben selbst für eine entsprechende Berichterstattung zu sorgen. Voilà: die EPI3-Studie erledigt dies.
In (relativer) Kürze
Die EPI3-Umfrage und die daran anschließenden verschiedenen Auswertungen stellen eine Marketingmaßnahme von Boiron dar, dem weltweit größten Hersteller von homöopathischen Präparaten. Der wissenschaftliche Wert tendiert allerdings gegen null. Der erklärte Zweck ist lediglich, die Erfassung der Unterschiede in den Ergebnissen von homöopathischer und konventioneller Therapie, die naturgemäß im Interesse des Sponsors zugunsten der Homöopathie ausfallen sollten. Um dies sicherzustellen, bedient man sich einer Vielzahl von fragwürdigen Methoden und Vorgehensweisen:
- (1) Selektive Berichterstattung: Im Rahmen der EPI3-Umfrage werden Daten für sehr viele Indikationen gesammelt. Von den 13 Kategorien mit 100 verschiedenen Indikationen werden jedoch nur drei weiter ausgewertet und auch dort nur Untergruppen, deren Auswahl und Zusammenstellung nicht weiter begründet wird. Man darf annehmen, dass ein wesentliches Kriterium für die Auswahl in der Übereinstimmung der Ergebnisse mit den Wünschen des Auftraggebers bestand.
- (2) Dadurch ist die Datenbasis bei weitem nicht so groß und nicht so repräsentativ wie in den zitierenden Berichten allgemein dargestellt: Es sind nicht über 8500 Patienten in die Untersuchungsergebnisse eingeflossen, sondern lediglich 2727, weniger als ein Drittel. Bei einem Gr0ßteil der übrigen Patienten dürften sich sogar Verläufe ergeben haben, die sich nicht zum Marketing pro Homöopathie eignen – sonst wären sie sicher veröffentlicht worden.
- (3) Fragwürdige Gruppeneinteilung: Die Gruppeneinteilung der Patienten wird nicht durch die Therapie festgelegt, sondern durch die Präferenzen des Arztes, den er sich zu Beginn der Studie ausgesucht hat. Da homöopathische Ärzte auch konventionelle Therapien einsetzen konnten – und auch eingesetzt haben – ist die Gruppeneinteilung sehr verwaschen. Es wird auch nicht berücksichtigt, ob und wie sich der Patient im Laufe der einjährigen Beobachtungszeit weiter therapieren lässt.
- (4) Daraus ergibt sich, dass positive Verläufe dem homöopathisch orientierten Therapeuten und damit implizit einer homöopathischen Behandlung zugeschrieben werden, dies aber in mehr oder weniger bedeutendem Umfang auf konventionellen Verfahren beruhen könnte.
- (5) Bewertung des Behandlungserfolgs: Die Autoren schließen aus einem nicht-signifikanten Unterschied der Gruppen auf eine Gleichwertigkeit der Resultate. Dies trifft aber nicht zu: Wenn man in einem Signifikanztest die Nullhypothese nicht verwerfen kann, ist das kein Beweis dafür, dass sie zutrifft. Für diese Aussage der Gleichwertigkeit hätte eine Non-inferiority-Studie durchgeführt werden müssen.
- (6) Am Rande: Das Studiendesign einer Kohortenstudie ist wegen der vielen möglichen unkontrollierten Störgrößen als Nachweis einer Wirksamkeit nur wenig geeignet.
- (7) Undifferenzierte Datenerfassung: Der Hauptmaßstab für den Vorteil der Homöopathie besteht darin, in welchem Umfang konventionelle Mittel verordnet und angewandt werden. Dies wird aber nur sehr undifferenziert erfasst: Ein einmaliger Gebrauch innerhalb von zwei Monaten wird genauso gewertet wie eine tägliche Einnahme im gleichen Zeitraum. Da Homöopathiepatienten sicher eine andere Hemmschwelle haben, auch einmalig ein konventionelles Medikament einzunehmen, ergibt sich daraus eine verzerrte Erfassung der tatsächlichen Situation.
- (8) Das wesentliche Ergebnis der Studie, dass Patienten von homöopathisch arbeitenden Ärzten weniger konventionelle Mittel einnehmen, ist ein Zirkelschluss. Dies ist schließlich das klassifizierende Merkmal der Gruppeneinteilung zwischen homöopathischem und nicht-homöopathischem Arzt gewesen. Das Ergebnis war somit bereits durch die Gruppeneinteilung festgelegt.
- (9) Datenerfassung und -auswertung: Oftmals werden Methoden angewendet, die nicht dafür geeignet sind, die für eine Beurteilung notwendigen Daten zu liefern. Beispielsweise indem der Erfolg bei banalen Erkältungskrankheiten anhand von Beobachtungen ein, drei und zwölf Monate nach der Therapie beurteilt werden soll. Oder wenn nur die geringen Remissionsraten verglichen werden, die eher die leichteren Fälle betreffen dürften, die den Verlauf bei der absoluten Mehrzahl der schwereren Fälle jedoch völlig unberücksichtigt lässt.
Fazit:
Die aus der EPI3-Umfrage zu gewinnende Erkenntnis zur Wirksamkeit der Homöopathie ist wissenschaftlich gesehen nicht der Rede wert. In den Augen und Ohren möglicher Patienten hingegen macht sich das sehr gut: Große Umfrage, Homöopathie, gleiche oder besseres Resultat wie konventionelle Medizin, weniger Medikamente und damit weniger Nebenwirkungen: das sind eingängige Schlagworte, die hier erzeugt werden konnten. Die bislang in nur vergleichsweise geringem Umfang vorliegende kritische Wertung dieser Arbeiten lässt darauf schließen, dass dies im Sinne des Auftraggebers gut gelungen ist.
Nun, vielleicht ändert sich das ja jetzt.
In (deutlicher) Länge
Überblick
EPI3 ist ein sehr umfangreiches, von der Fa. Boiron, dem weltweit größten Hersteller homöopathischer Präparate aus Frankreich, finanziertes Projekt. Flächendeckend in ganz Frankreich nahmen 825 Ärzte der Allgemeinmedizin („general practitioners“, GP) daran teil. Diese Ärzte bildeten drei Gruppen:
(a) Ärzte, die ausschließlich konventionell praktizieren und keine Homöopathika verordnen (GP-CM),
(b) Ärzte, die über eine Zusatzausbildung zur Homöopathie verfügen und diese überwiegend einsetzen (GP-Ho) und
(c) Ärzte, die sowohl konventionelle Medizin und Homöopathie bzw. alternativ- und komplementärmedizinische Verfahren einsetzen (GP-MX).
Jeweils an einem zufällig ausgewählten Tag wurden die Patienten im Wartezimmer von geschulten Interviewern nach ihren Beschwerden und ihrer Lebensqualität befragt, was die Ärzte durch Ausfüllen eines medizinischen Fragebogens ergänzten. Die Entwicklung der Patienten wurde über ein Jahr mittels Telefoninterviews einen, drei und zwölf Monate nach dem Arztbesuch wiederum durch geschulte Interviewer verfolgt. Die auf diese Weise in den Jahren 2007 und 2008 von insgesamt 8559 Patienten gesammelten Daten bilden die Datenbasis für eine ganze Reihe von Auswertungen, die in den Folgejahren erschienen sind. Die bislang letzte Arbeit von Danno et al. zur Behandlung von Angststörungen und Depressionen bei älteren Menschen erschien erst 2018.
Diese Arbeiten werden nun gerne als Beleg dafür angeführt, dass die Homöopathie für die Patienten doch die bessere Option darstelle, da man im realen Leben eben doch Heilungserfolge erziele, die der konventionellen Medizin in nichts nachstünden und dabei aber weniger Medikamente der Schulmedizin mit ihren Nebenwirkungen eingesetzt würden [1,2].
Dass diese Sichtweise nicht gerechtfertigt ist, soll hier gezeigt werden. Dabei beschränkt sich dieser Artikel auf die Auswertungen, in denen die Ergebnisse homöopathisch und konventionell behandelter Patienten miteinander verglichen wurden, die Gruppe der gemischt arbeitenden Ärzte ist wegen fehlender weiterer Angaben kaum interpretierbar. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl weiterer Auswertungen zur Sozioökonomie der Patienten oder den Gewohnheiten einzelner Patientengruppen, die hier allerdings keinen Beitrag leisten.
Finanzierung
Die folgenden Angaben entstammen einem Papier [3], das auch Behnke in [1] zitiert und das über einen Kurzlink auch aufgerufen werden kann, das aber sonst mit Google Scholar nicht auffindbar ist. Erster Autor ist Lucien Abenhaim, Mitarbeiter des INSERM, der einzigen französischen staatlichen Einrichtung zur Forschung in der Medizin. Das Papier sieht aus wie ein Datenblatt zu diesem Forschungsvorhaben, trägt aber keine Kennzeichnungen zu einer Veröffentlichung. Da die in den einzelnen Arbeiten auffindbaren Angaben mit den Daten des Papiers übereinstimmen, sei es trotz der unklaren Quellenlage als zuverlässig angesehen.
Demnach ist die Studie von den Boiron Laboratories privat finanziert worden. Und dies hat sicher einiges gekostet. Die beteiligten Ärzte erhielten ein Honorar für ihre Bemühungen beim Ausfüllen der über 8500 Diagnoseberichte. Die Interviewer für die fünf ausführlichen Interviews pro Patient mussten bezahlt werden, einzelne Autoren der späteren Auswertungen erhielten Zuwendungen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die von Boiron aufgebrachten Kosten eher über als unter einer Million Euro gelegen haben dürften.
Prinzipiell ist es kein allzu großes Problem, dass eine Studie von einer Person oder Institution finanziert wird, die an dem Ergebnis in der einen oder anderen Richtung interessiert ist. Es wäre sogar recht naiv, wenn man „Neutralität“ gegenüber dem Forschungsgegenstand fordern würde, um die Ergebnisse einer Arbeit als valide anzusehen. Wer bezahlt schon viel Geld für etwas, das ihn nicht interessiert?
Man wird aber bei der Betrachtung der Arbeiten sehr darauf achten müssen, ob und wie weit die Interessen des Auftraggebers auf das Ergebnis durchschlagen könnten, auch ohne dass der Auftraggeber das expressis verbis vorgibt. Es wäre jedenfalls kaum zu glauben, dass für Forschungsarbeiten qualifiziertes Personal sich nicht im Klaren wäre, welche Sorte Ergebnis den Auftraggeber erfreut – was er vielleicht in der Zukunft mit weiteren Aufträgen honoriert.
Möglichkeiten der Einflussnahme gibt es viele: Das Studiendesign kann entsprechend gestaltet werden, um ein bestimmtes Ergebnis wahrscheinlich zu machen. Man kann Cherrypicking betreiben und nur die passenden Daten veröffentlichen und die anderen weglassen. Man kann das Ergebnis überinterpretieren, und in der Darstellung der Rahmenbedingungen die Arbeit gewichtiger erscheinen lassen als sie ist. Oder Messverfahren anwenden, die die tatsächlich vorliegende Situation bis zur Unkenntlichkeit verzerren. Wir werden sehen, dass die Autoren alle diese Möglichkeiten sehr virtuos nutzen, um ihr positives Bild der Homöopathie zu zeichnen.
Denn der Zweck der Untersuchungen ist schlicht und einfach „to assess the difference between conventional and homeopathic treatment“ („… den Unterschied zwischen konventioneller und homöopathischer Behandlung festzustellen“). Es versteht sich von selbst, dass ein Unternehmen, dessen Produktpalette, soweit im Webauftritt erkennbar, ausschließlich aus homöopathischen Präparaten besteht, kein Interesse daran hat, dass für das viele aufgewandte Geld herauskommt, dass die Homöopathie der konventionellen Medizin unterlegen ist. Folglich müssen wir uns in der Betrachtung viel mehr darauf konzentrieren, was NICHT gesagt und berichtet wird.
Indikationen
Interessant ist zunächst ein Blick auf die Befunde der Patienten. Diese wurden 2011 in einer Auswertung von Grimaldi-Bensouda vorgelegt [4]. In dieser Arbeit wird für 100 verschiedene Diagnosen anhand eines standardisierten Fragebogens (SF-12) dargestellt, welche Lebensqualität die Patienten hatten. Dies ist für uns weniger interessant, wobei die Ergebnisse alle in der gleichen Gegend von rund 40 bis rund 50 Punkten (von maximal 100) liegen – was auch nicht so sehr viel aussagt, wenn man keine repräsentativen Vergleichszahlen für die Gesamtbevölkerung kennt.
Für uns interessant ist, welche Diagnosen aufgetreten sind. Diese wurden in 13 Kategorien zusammengefasst. In der folgenden Tabelle sind diese Kategorien zusammen mit der Häufigkeit dargestellt, mit denen sie auftraten. Die Zahlen ergeben jedoch eine höhere Summe als 8559, da hier auch die Daten von Patienten enthalten sind, deren Daten zwar erfasst wurden, die aber nicht zu einer weiteren Teilnahme bereit waren (n = 3157). Weiterhin sind die Prozentsätze nach den Angaben der Tabelle in der Studie angegeben, die allerdings als Summe eine Zahl deutlich über 100 % ergeben, was nicht nachvollziehbar bleibt. Es sind auch 14 Kategorien aufgeführt. Vermutlich sind die Routine- und Vorsorgeuntersuchungen nicht als Krankheitsbild gezählt, was durchaus sinnvoll wäre:
(1) Beschwerden am Bewegungsapparat („mucoskeletal disorders“): n = 2069, 29 %
(2) Bluthochdruck und Herz-Kreislaufbeschwerden: n = 1904, 26,7 %
(3) Depressionen, Angst- und Schlafstörungen: n = 1569, 22 %
(4) Atemwegserkrankungen: n = 1419, 19,9 %
(5) Medizinische Untersuchungen und Vorsorge: n = 1101, 15,4 %
(6) Diabetes, Schilddrüse und andere innere Erkrankungen: n = 785, 11 %
(7) Fettsucht und Fettstoffwechselstörung: n = 742, 10,4 %
(8) Beschwerden des Verdauungssystems: n = 742, 10,4 %
(9) Beschwerden des Nervensystems, Bereich Kopf und Nacken: n = 449, 6.3 %
(10) Beschwerden am Urogenitalsystem: n = 400, 5,6 %
(11) Verletzungen und Vergiftungen: n = 342, 4,8 %
(12) Krebs und seltene („infrequent“) Erkrankungen n = 289, 4,1 %
(13) Haut und Bindegewebe: n = 243, 3,4 %
(14) Infektionskrankheiten: n = 228, 3,2 %
Erster Vorbehalt: Selektive Berichterstattung
Dieser Vielzahl von aufgetretenen Krankheitsbildern stehen nur einige wenige gegenüber, deren Daten für die weitere Auswertung ausgewählt wurden. In den bislang vorliegenden EPI3-Studien zur Wirksamkeit der Homöopathie werden nur die folgenden Indikationen betrachtet, die Zahl der Teilnehmer ist aus den Texten der Studien entnommen:
- Atemwegserkrankungen (n = 518) [5]
- Beschwerden des Bewegungsapparates (n = 1153) [6]
- Angststörungen und Depressionen (n = 710) [7]
- Schlafstörungen (n = 346) [9]
Letztendlich werden nur drei der 13 Kategorien einer Analyse unterzogen (die beiden letzten wurden in [4] zu einem Oberbegriff zusammengefasst). Dies erfolgte allerdings nicht in vollem Umfang, sondern es wurden zumeist nur ausgewählte Untergruppen betrachtet, ohne dass die Gründe für diese Auswahl dargestellt würden. Natürlich wäre es möglich, dass weitere Auswertungen in Zukunft noch veröffentlicht werden, nach den Aussagen beispielsweise in [7] ist dies jedoch offenbar nicht vorgesehen.
Dies ist Cherrypicking, wie es schulbuchmäßig nicht deutlicher gemacht werden kann. In den einzelnen Studien ist das natürlich nicht erkennbar, da dort ja nicht über das Gesamtprojekt EPI3 berichtet wird. So gibt es keine Erklärung dafür, warum man sich nur auf diese wenigen Krankheitsbilder beschränkt hat (in denen auf den ersten Blick für Boiron vorteilhafte Ergebnisse erzielt wurden, dazu aber später mehr).
Vergegenwärtigen wir uns, dass Boiron eine Menge Geld für das EPI-3 Projekt ausgegeben hat. Dann ist zu vermuten, dass man die positiven Ergebnisse weitestgehend ausschlachtet und darüber berichtet. Dies ist aber für die meisten der Krankheitsbilder bislang nicht geschehen. Die nach 2016 erschienenen Auswertungen befassen sich mit Untergruppen von bereits vorliegenden Arbeiten, etwa mit der Behandlung von Schlafstörungen bei älteren Menschen.
Wir können also vermuten, dass die Ergebnisse von 10 der 13 Kategorien nicht für eine Veröffentlichung getaugt haben – sie also kein positives Ergebnis erbracht haben. Dies zu verschweigen ist marketingmäßig zwar zu verstehen, wissenschaftlich jedoch ein krasses Fehlverhalten. So wird ein Publication bias, ein völlig verzerrtes Bild der Evidenz erzeugt, indem man missliebige Ergebnisse einfach weglässt. Es wäre doch sicher wichtig zu erfahren, dass beispielsweise bei Bluthochdruck und Herz/Kreislaufbeschwerden die Homöopathie nicht hilft, genauso wenig wie bei Verdauungsbeschwerden, Diabetes, Infektionskrankheiten etc. Diese Ergebnisse zu verschweigen ist eine bewusste Täuschung der Homöopathie-Patienten, die stattdessen den einschlägigen und vielfältigen Werbeaussagen folgen.
Zweiter Vorbehalt: Größe der Datenbasis
Jede der einzelnen Studien weist darauf hin, dass insgesamt über 8500 Patienten in die Studien eingeflossen seien, wovon man eine bestimmte Untergruppe betrachte. Auch in den Zitaten taucht diese Zahl immer wieder auf – ist aber falsch. In die vier Auswertungen sind nur 2727 Patienten eingeflossen, also weniger als ein Drittel der Gesamtzahl. Das ist zwar absolut gesehen immer noch eine recht große Zahl – aber die Repräsentativität der ganzen Untersuchung ist eben nicht in dem Ausmaß gegeben, wie es die Autoren darstellen und wie es zitiert wird. Bei einem großen Teil der übrigen Patienten dürften sogar gegenteilige Ergebnisse vorliegen als hier als allgemeingültig zitiert.
Die Auswertungen – Überblick
Die Datenerfassung und die Auswertung erfolgen bei allen vier bislang veröffentlichten Studien nach dem gleichen Schema:
Die Patienten werden (außer bei der Auswertung der Infekte der oberen Atemwege) kurz nach der Behandlung sowie zu Zeitpunkten einen, drei und zwölf Monate nach der Behandlung telefonisch interviewt. Dabei wird ein der Indikation entsprechender Fragebogen ausgefüllt, mit dem die funktionalen Beschwerden erfasst werden. Dazu wird abgefragt, ob in dem Zeitraum seit dem jeweils letzten Interview konventionelle Medikamente eingenommen wurden. Je nach Indikation wurde etwa nach Antibiotika, Schmerzmitteln oder Psychopharmaka gefragt. Die Auswertung erfolgte mit recht aufwändigen statistischen Mitteln, um den Einfluss unkontrollierter Störgrößen herauszurechnen und den Stichprobenfehler zu eliminieren, der durch Abweichungen der Stichprobe von der Grundgesamtheit entsteht.
Dieser gesamte statistische Aufwand erscheint indes etwas widersinnig. Einerseits hat man keinerlei Vorgaben zu Einschlusskriterien und Therapien gemacht, um ein möglichst reales Bild der tatsächlichen Gegebenheiten des täglichen Lebens zu erhalten – nur um die Unterschiede in den Gruppen auf statistischem Wege wieder auszuräumen. Wobei in den Darstellungen der Studien zwischen originären und bewerteten Ergebnissen hin- und her gesprungen wird.
Als Ergebnis kam bei den veröffentlichten Auswertungen heraus, dass die Patienten der homöopathisch arbeitenden Hausärzte vergleichbare oder günstigere Verläufe ihrer Beschwerden zu verzeichnen hatten als diejenigen der konventionellen Mediziner. Die Patienten der gemischt arbeitenden Ärzte lag zumeist irgendwo dazwischen.
Dritter Vorbehalt: Gruppeneinteilung der Patienten
Wie bei derartigen Beobachtungsstudien üblich, gab es keine Randomisierung der Patienten und folglich auch keine Verblindung. Die Gruppenaufteilung ergab sich dadurch, welchen Arzt die Patienten aufsuchten, entsprechend wurden sie in diese Gruppe eingeteilt. Hier ist allerdings die Besonderheit gegeben, dass die Patienten nach den festgestellten Präferenzen der Ärzte zum Einsatz der Homöopathie eingeteilt wurden, nicht nach der Therapie, die sie tatsächlich erhielten. Da es seitens des Studienprotokolls keine Vorgaben zur anzuwendenden Behandlung gab, haben auch die Homöopathen konventionelle Mittel eingesetzt. Bei den Infekten der Atemwege verordneten beispielsweise auch die Homöopathen 13,3 % der Patienten Antibiotika und 20,7 % entzündungshemmende Mittel (konventionelle Ärzte: 32,6 bzw. 40,5 %). 40,3 % der Patienten der homöopathischen Ärzte erhielten Psychopharmaka bei ihren Schlafstörungen (konventionell: 76,8 %). Folge: Die Homöopathiegruppe ist reichlich inhomogen, was dazu führt, dass eine Zuordnung des Behandlungserfolgs zur Homöopathie nicht wirklich gerechtfertigt ist. Die Studienautoren ordnen das Behandlungsergebnis demnach auch ganz richtig immer nur den jeweiligen Arztgruppen zu. Aber wer als schneller Leser – auch des Beitrags der Carstens-Stiftung – beachtet den feinsinnigen Unterschied, dass nicht unbedingt Homöopathie drin ist, wo Homöopathie draufsteht?
Vierter Vorbehalt: Zuschreibung des Erfolgs
Schon die Gruppeneinteilung der Patienten ist mehr als fragwürdig. Dies gilt umso mehr, wenn man die zeitliche Entwicklung betrachtet. In den folgenden zwölf Monaten wird zwar der Verlauf der Beschwerden erfasst, aber außer dem Gebrauch von konventionellen Arzneimitteln oder homöopathischen Präparaten keine weitere Frage nach dem weiteren Verlauf der Behandlung gestellt. Völlig unabhängig davon, wie es mit den Patienten weiterging, ob sie einen Facharzt aufsuchten oder die weitere Behandlung abbrachen, wird das Ergebnis der Gruppe zugeschrieben, die durch den vielleicht nur einmaligen Besuch bei dem entsprechenden Arzt festgelegt wurde.
Dabei ist durchaus beachtenswert, dass die Patienten der konventionellen Mediziner diese in den allermeisten Fällen als ihre Hausärzte betrachteten (in allen Studien um die 80 %), was bei den Homöopathen in weit geringerem Maße der Fall ist (in allen Studien nur um die 40 %). Wir haben hier also eine hohe Zahl von Erstbesuchern des jeweiligen homöopathischen Arztes vorliegen – und es ist durch nichts gewährleistet oder erfasst, ob dies auch beibehalten wird. Wenn also ein Patient eines Homöopathen nach dem ersten hier erfassten Besuch enttäuscht ist, danach einen konventionellen Mediziner aufsucht, der ihn dann erfolgreich behandelt – gilt dies hier als Erfolg des Homöopathen. In umgekehrter Richtung ist das sicher auch möglich, aber die doppelt so große Therapietreue zum konventionellen Arzt macht dies deutlich weniger wahrscheinlich.
Fünfter Vorbehalt: Verkappte Non-Inferiority Studie
Eine Hauptaussage aller EPI3-Studien ist, dass bei den Patienten der Homöopathen gleichwertige Verbesserungen aufgetreten sind wie bei den konventionellen Ärzten. Dies leitet man daraus ab, dass im Gruppenvergleich keine (statistisch) signifikanten Unterschiede aufgetreten sind. Dies ist aber eine völlig falsche Betrachtungsweise:
In einem Signifikanztest wird eine Nullhypothese aufgestellt und dann errechnet, wie wahrscheinlich das Ergebnis ist, wenn die Nullhypothese zutrifft. Bei den üblichen Studien („superiority study“), bei denen die Überlegenheit einer Therapie gegenüber einer anderen gezeigt werden soll, ist dies „Die Gruppen sind auch nach den Therapien gleich.“ Unterschreitet die mit dieser Annahme errechnete Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Grenzwert, in medizinischen Studien üblicherweise 5 %, dann wird die Nullhypothese verworfen, das heißt als (wahrscheinlich) unzutreffend abgelehnt, was als Bestätigung dafür gilt, dass ein Behandlungseffekt aufgetreten ist.
Wenn hingegen die Wahrscheinlichkeit oberhalb dieses Grenzwertes verbleibt, dann kann die Nullhypothese nicht verworfen werden – was allerdings auch nicht bedeutet, dass sie richtig ist [10]. Dies ist ähnlich wie in einer Gerichtsverhandlung: Alleine dass man dem Angeklagten die Tat nicht nachweisen kann, ist kein Beweis dafür, dass er unschuldig ist („Freispruch aus Mangel an Beweisen“).
Ein Vergleich der Wirksamkeiten zweier Therapien läuft hingegen auf eine Non-inferiority-Studie hinaus, bei der die Nullhypothese anders gebildet werden muss [10]. Diese müsste lauten „Die Therapie X liefert weniger als 95 % (oder ein anderes sinnvolles Maß) des Behandlungserfolges der Therapie Y“ oder ähnlich. Dann kann man die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der das Ergebnis aufgetreten wäre, wenn diese Hypothese stimmen würde, und man verwirft diese Hypothese als falsch, wenn die Wahrscheinlichkeit unter dem Grenzwert von 5 % liegt. Dies ergibt üblicherweise engere Schranken um die Vergleichstherapie herum, innerhalb derer das untersuchte Verfahren als gleichwertig gilt.
Diese Betrachtungen sind aber hier nicht erfolgt. Alleine aus der fehlenden statistischen Signifikanz eines Gruppenunterschiedes auf die Gleichwertigkeit zu schließen, ist ein Fehlschluss und eine Überinterpretation des Ergebnisses.
Sechster Vorbehalt: Ungeeignetes Studiendesign
Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass aus einer Beobachtungsstudie auch unter günstigen Voraussetzungen und bei richtiger Anwendung kein Wirksamkeitsnachweis abgeleitet werden kann.
Es gibt keine Randomisierung und keine Verblindung, da sich die Patienten ihre Therapeuten nach eigenem Gutdünken auswählen. Damit können sich Gruppenunterschiede ergeben, etwa wenn das Ausmaß der Beschwerden die Auswahl des Therapeuten beeinflusst. Dies führt generell dazu, dass es eine ganze Reihe unkontrollierter Störgrößen geben kann, die sich in einem unterschiedlichen Ergebnis niederschlagen können.
Hier wird dies nun sogar weiter auf die Spitze getrieben, denn eine Kontrolle von Störgrößen findet nach diesem Studiendesign auch nicht im Ansatz statt: Der gesamte weitere Verlauf der Beschwerden während eines ganzen Jahres wurde wie oben ausgeführt alleine auf die einmalig erfasste Behandlung bei dem betreffenden Allgemeinarzt bezogen. Es wird nicht abgefragt, ob die Patienten im Laufe der Zeit noch andere Therapieangeboten wahrgenommen haben, eventuell sogar an einen Facharzt verwiesen wurden. Viel oberflächlicher kann man das nicht machen.
Siebter Vorbehalt: Überbewertung der Medikamentennutzung.
Der Medikamentengebrauch ist eines der Hauptergebnisse der Studien und bildet in diesen Arbeiten somit den Maßstab für den angeblichen Vorteil der Homöopathie gegenüber der konventionellen Medizin. Bei den einzelnen Interviews wurde demnach erfasst, ob die Patienten in der Zeit seit dem letzten Interview Medikamente bzw. homöopathische Präparate eingenommen hatten. Als Kriterium, um als Medikamenteneinsatz zu zählen, galt als Minimum der einmalige Einsatz während des Beobachtungszeitraumes seit dem letzten Interview. Eine weitere Unterteilung fand nicht statt. Plakativ: Das ist ähnlich, als würde man den Alkoholkonsum verschiedener Gruppen vergleichen wollen und dabei jemanden, der alle zwei Monate ein Bier trinkt, genauso zählen wie jemanden, der sich in den zwei Monaten jeden Abend die Kante gibt.
Man wird davon ausgehen können, dass Patienten, die sich bewusst der Homöopathie zugewandt haben, der Einnahme konventioneller Mittel eher reserviert gegenüberstehen und sie nicht leichtfertig mit „mal einer Tablette“ gegen ihre Überzeugung handeln. Man wird dies sicher nur dann tun, wenn es gar nicht anders zu ertragen ist. Diese Vorbehalte wird man auf der Seite der Patienten der konventionellen Ärzte wahrscheinlich eher weniger finden. Für das Ausmaß bzw. als Indikator für einen Behandlungsvorteil ist sicherlich die Menge der eingenommenen Medikamente zu sehen oder die Häufigkeit der Einnahme oder ein anderes Maß, das die Intensität ausdrücken würde, mit der medikamentös gearbeitet wird. Aber genau diese Beurteilung ist nicht zugänglich, weil eben keine Angaben zur Regelmäßigkeit des Gebrauchs ermittelt wurden, etwa indem man die Menge der eingenommenen Mittel erfragt und bewertet hätte.
Konsequenz: Der Maßstab, der für den angeblichen Vorteil der Homöopathie angeführt wird, ist wenig aussagekräftig, weil zu wenig ausdifferenziert. Um im obigen Vergleich zu bleiben: Es ist sicherlich nicht vergleichbar, ob sich 80% der Bevölkerung einmal in zwei Monaten ein Bier gönnt oder jeden Abend volltrunken ist. Selbst bei gleichen Zahlenwerten ist also nicht darauf zu schließen, dass auch der gleiche Gebrauch vorliegt.
Achter Vorbehalt: Das Ergebnis ist ein Zirkelschluss
Dass der Medikamenteneinsatz in der Gruppe, die bei homöopathisch arbeitenden Ärzten behandelt wurden, geringer ausfiel als bei den konventionellen Medizinern, wird hier als das herausragende Merkmal für den Vorteil der Homöopathie dargestellt. Das aber ist genau das Merkmal, das zur Einteilung der Gruppen geführt hat, nämlich zur Unterscheidung zwischen konventionellen Ärzten, die keine Homöopathika einsetzen, und den Homöopathen, die genau dies tun – und damit weniger konventionelle Mittel verordnen. Wobei letzteres auch nur relativ ist: über 40 % der Homöopathen-Patienten erhielten Psychopharmaka bei Schlafstörungen verordnet, 33 % bei Depressionen und Angststörungen. Man kann in Abwesenheit weiterer Angaben allerdings nicht beurteilen, ob die konventionellen Ärzte, von denen die Patienten immer rund doppelt so oft konventionelle Mittel verordnet erhielten, nun in höherem Maße Fehlverordnungen getroffen haben oder ob dies Folge einer schlechteren Gesundheitslage der Patienten war.
Es bleibt aber bestehen, dass das zur Beurteilung des Vorteils herangezogene Ergebnis, nämlich der geringere Gebrauch konventioneller Arzneimittel, bereits durch die Definition der Gruppen vorgegeben war.
Die Studien im Einzelnen:
Infektionen der oberen Atemwege
In die Auswertung der Daten zum Einfluss der Behandlungspräferenzen des Hausarztes auf die Ergebnisse bei der Behandlung von Infekten der oberen Atemwege sind die Daten von 518 Erwachsenen und Kindern eingeflossen. Dabei ging es in rund 80 % der Fälle um eine Rhinopharyngitis (Entzündung der Nasen- und Rachenschleimhaut), die nach den Angaben der Wikipedia eine selbstlimitierende Erkrankung ist und nach 10 bis 14 Tagen ausgeheilt ist, sofern keine Komplikationen (bakterielle Infektion) auftreten. Es geht also weitgehend um banale Erkältungen.
Damit erfasst diese Auswertung nur eine Untergruppe der Kategorie „Atemwegsbeschwerden“ aus [4]. Ein Grund für diese Beschränkung wird nicht angegeben. Chronische Beschwerden, wie chronische Nasennebenhöhlenentzündungen, allergische Rhinitis („Heuschnupfen“) oder Asthma, für die die Homöopathie an anderer Stelle als besonders vorteilhaft gepriesen wird, werden nicht betrachtet. Pikanterweise sind auch Grippeerkrankungen („flu“) nicht eingeschlossen worden, obgleich Boiron selbst das weltweit meistverkaufte homöopathische Grippemittel Oscillococcinum im Angebot hat. Also auch hier eine selektive Berichterstattung, die vermuten lässt, dass man sich die möglichst vorteilhaften Ergebnisse herausgesucht hat.
Die Auswahl, die in der Arbeit anhand der ICD-Nummern spezifiziert wurde, ist nicht nur auf den ersten Blick verblüffend. Nach der üblichen Auffassung der Homöopathen ist es eher so, dass die konventionelle Medizin bei akuten Beschwerden – wenn auch vielleicht nicht gerade bei Erkältungskrankheiten – positive Resultate erzielt, bei chronischen Beschwerden im Gegensatz zur Homöopathie hingegen mehr oder weniger völlig versagt. Und dann werden chronische Beschwerden der Atemwege in einer Langzeituntersuchung – also DAS erklärte Einsatzfeld der Homöopathie – nicht betrachtet? Welchen Schluss darf man daraus ziehen, wenn trotz eines an positiven Ergebnissen äußerst interessierten Auftraggebers darüber nicht berichtet wird?
Nach dem Bericht von Grimaldi-Bensouda wurde bei den hier betrachteten Patienten das erste Telefoninterview nicht bereits im Zeitraum von drei Tagen nach der Behandlung, sondern erst nach einem Monat durchgeführt, mit weiteren Nachfolgeinterviews drei und zwölf Monate nach dem ursprünglichen Arztbesuch. Was ist von der Erkältung am Anfang dann noch übrig, egal, was die Therapie ausgerichtet hat oder auch nicht? Eben: Nichts. Diese Datenerfassung ist folglich für die Bewertung des Behandlungserfolgs bei Erkältungskrankheiten völlig ungeeignet, da sie keine Trennschärfe aufweist.
Das Ergebnis zeigt sich wie üblich: Die Krankheitsverläufe bei den Homöopathen sind ähnlich wie bei den konventionellen Medizinern, was nun wirklich nicht verwundert, nur der Gebrauch an Antibiotika und Entzündungshemmern ist bei den Homöopathen halb so groß – aber beileibe nicht null.
Donnerwetter, wenn das nicht ein schlagender Nachweis ist: Wenn man mindestens doppelt so lange mit der ersten Abfrage wartet, wie eine solche Erkrankung auch unbehandelt überhaupt nur dauert, dann sind die Ergebnisse der Homöopathen vergleichbar mit den konventionell behandelten Patienten. Und wer hätte das für möglich gehalten, dass Patienten, die von sich aus die Praxis eines Homöopathen aufsuchen, weniger konventionelle Mittel verordnet bekommen und einnehmen als die anderen?
Und zu einer derartigen Unsinnsforschung haben sich mit dem Pasteur-Institut und dem INSERM Topadressen der französischen Gesundheitsforschung hergegeben? Das wird auch einiges gekostet haben.
Beschwerden am Bewegungsapparat
In einer weiteren in 2012 publizierten Arbeit werden die Daten für 1153 Patienten mit Beschwerden des Bewegungsapparates („musculoskeletal disorders“) ausgewertet.
Auch hier zeigt sich, dass offenbar nicht alle Patienten mit Beschwerden am Bewegungsapparat in die Auswertung eingeflossen sind. Nach den angegebenen Klassifikationsnummern nach dem ICD9-System sind Patienten mit Enthesopathie (Entzündung der Sehnenansatzpunkte), mit Osteoporose, und Ischiasbeschwerden nicht aufgenommen worden, ebenso alle Patienten mit entzündlichen und infektiösen Beschwerden sowie Wucherungen im Gelenkbereich. Wofür natürlich keine Begründung angegeben ist.
Es wurde hingegen ein wildes Gemisch unterschiedlicher Beschwerden wie Rheumatische Erkrankungen, Bandscheibenbeschwerden, Hexenschuss und viele andere mehr eingeschlossen, die außer, dass sie sich im Bewegungsapparat zeigen, kaum Gemeinsamkeiten aufweisen. Die Indikationen wurden in der Auswertung lediglich in chronische und nicht-chronische Beschwerden klassifiziert, die sich darin unterschieden, ob die Beschwerden zum Zeitpunkt des Studienbeginns bereits kürzer oder länger als 12 Wochen andauerten.
Ansonsten gelten die oben beschriebenen Vorbehalte für diese Arbeit in vollem Umfang: Aus der fehlenden Signifikanz des Unterschiedes in den Gruppen wird auf die Gleichwertigkeit der Krankheitsverläufe geschlossen. Aus der geringeren Anzahl der Patienten, die angaben, mindestens einmal im Betrachtungszeitraum ein Schmerzmittel oder ein entzündungshemmendes Mittel eingenommen zu haben, wird auf einen deutlich größeren Medikamentenverbrauch geschlossen.
Depression und Angststörungen
In die von Grimaldi-Bensouda et al. erst 2016 veröffentlichten Auswertung zur Behandlung von Angststörungen und Depressionen sind die Daten von 710 Patienten eingeflossen [7]. Auch dies ist nur eine Untergruppe der aufgetretenen Indikationen, die auch mit den getrennt ausgewerteten Schlafstörungen (s. unten) nicht alle Befunde dieser Kategorie abdecken. Menschen etwa mit Essstörungen, Nervosität und Unruhe, akutem und chronischem Stress wurden nicht betrachtet. Also auch bei den psychisch bedingten Indikationen, bei denen die Homöopathie infolge des besonderen Vorgehens bei der Anamnese besonders vorteilhaft sein soll, scheinen längst nicht alle Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sein.
Bemerkenswert ist weiterhin, dass die Patienten der konventionellen Ärzte in allen Indikatoren für die Schwere der Beschwerden deutlich schlechter abschnitten als die Patienten der Homöopathen. So hatten etwa 23 % der konventionellen Patienten in der Vergangenheit einen Selbstmordversuch hinter sich, bei den Homöopathen nur 14,2 %. Auch waren Komorbiditäten bei den konventionellen Patienten in deutlich höherem Maße ausgeprägt, Diabetes etwa bei 14,3 anstatt 6,6 %. .
Als Ergebnis wurde lediglich die Remissionsrate zu den Interviewzeitpunkten ausgewertet, das heißt, der Anteil der Patienten, bei denen die mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens erhobene Punktzahl zur Bewertung der Schwere der Symptomatik unter den Schwellwert von 9 fiel. Dies erscheint ein etwas fragwürdiges Messverfahren, da der Verlauf nur eines kleinen Teils der Patienten, je nach Messpunkt zwischen 8,5 und 22,5 %, tatsächlich in das Ergebnis eingeflossen ist. Die Entwicklung der Masse der Patienten hatte jedoch keinen Einfluss. Zumal zu vermuten ist, dass es eher die leichteren Fälle sein dürften, bei denen eine Remission aufgetreten ist. Noch nicht einmal das unterste Quartil wirkt sich vollumfänglich auf das Ergebnis aus. Es wird die Entwicklung am untersten Rand betrachtet – nicht im Schwerpunkt und nicht bei den schwereren Fällen, wo aber der Leidensdruck deutlich höher sein dürfte.
Natürlich – und dies dürfte keine Überraschung sein – hat die Homöopathie durch die Art ihrer Anamnese in einem langen Gespräch bei psychischen Erkrankungen deutliche Vorteile gegenüber der konventionellen Medizin (wobei offen gelassen sei, ob die Ärzte in Frankreich unter einem ähnlichen Kosten- und Zeitdruck stehen wie hierzulande). Ein in dieser Studie erkennbares besseres Abschneiden der Homöopathie ist zu erwarten. Was allerdings verblüfft, ist, dass dieser Erfolg offenbar nur kurzfristig ist: Liegen einen Monat nach Therapie bereits 16,1 % der Patienten unter dem Grenzwert von neun Punkten, so steigt dies nach drei Monaten auf den Wert von 22 %, nur um nach einem Jahr wieder auf 18,5 % zurückzufallen. Offenbar hat sich die Begeisterung über die Homöopathie bei einigen Patienten verflüchtigt – die übrigens auch zu einem nicht kleinen und konstant bleibenden Anteil von über 45 % Psychopharmaka einnahmen.
Bei den konventionellen Medizinern sind die Zahlen zwar nicht absolut besser, deuten jedoch auf eine nachhaltigere Verbesserung hin, wenn man aus den Zahlen überhaupt etwas ablesen kann: Der Anteil der Patienten unter neun Punkte nahm kontinuierlich zu (von 8,5 über 10,4 zu 13,9 %) und der Gebrauch an Psychopharmaka nahm drastisch ab (von 86 über 74,4 zu 68 %).
In der Schlussfolgerung wird das gewohnte Bild aufgezeigt – vergleichbare Ergebnisse bei geringerem Einsatz konventioneller Medikamente – aber hier wird wenigstens auf die Möglichkeit hingewiesen, dass auch die Regression zur Mitte einen Einfluss gehabt haben könnte.
Für die Untergruppe der Patienten mit einem Lebensalter über 65 Jahre wurde von Danno et al. 2018 eine getrennte Auswertung vorgelegt [8]. Kann dies daran liegen, dass für diese Untergruppe die Ergebnisse besonders vorteilhaft aussehen – und man mal wieder etwas für die Presse brauchte? Nota bene: Angesichts der vielen betrachteten Indikationen und auch der vielen denkbaren Untergruppen, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch positive Ergebnisse aufgetreten sind, über die man natürlich gerne berichtet. Oder liegt es vielleicht daran, dass ältere Menschen für Zuspruch, homöopathisch oder nicht, einfach empfänglicher sind?
Schlafstörungen
Von den psychischen Beschwerden wurden die Daten von 346 Patienten, die unter Schlafstörungen litten, getrennt ausgewertet und 2015 von Grimaldi-Bensouda et al. veröffentlicht [9].
Erstaunlich ist hier der mit 40 % recht hohe Anteil der Patienten, denen von ihrem Homöopathen Schlafmittel („Psychotropic drug for sleeping disorders“) verordnet wurden (konventionelle Therapeuten: 77 %). Selbst bei dieser Indikation, die für die sanfte Homöopathie prädestiniert erscheinen müsste, wird dies von den dazu ausgebildeten Ärzten in großem Umfang nicht als bessere Alternative gesehen. Ansonsten zeigt sich auch hier das gleiche Bild wie in den anderen Studien: ähnliche Ergebnisse aber geringerer Konsum von konventionellen Medikamenten.
Neunter Vorbehalt: Ungeeignete Mess- und Auswerteverfahren
Die Betrachtungen zu den einzelnen Veröffentlichungen lassen sich zu einem weiteren generellen Vorbehalt dahingehend zusammenfassen, dass recht häufig ungeeignete Mess- und Auswerteverfahren angewendet werden. Den Verlauf selbstlimitierender Erkältungskrankheiten zu Beobachtungszeiten von einem, drei oder zwölf Monate nach der Behandlung liefert keine brauchbaren Ergebnisse, denn was immer zu diesen Zeitpunkten auch der Zustand des Patienten sein mag, das hat nichts mehr mit dem ursprünglichen Fall und dessen Behandlung zu tun. Den Verlauf der Genesung bei Angststörungen und Depressionen nur anhand der vergleichsweise wenigen aufgetretenen Remissionen zu beurteilen lässt völlig außer Acht, wie es der überwältigenden Mehrheit der schwereren Fälle ergangen ist.
Quintessenz
Quintessenz aus all diesem: Außer zum Marketing taugen diese Arbeiten zu nichts. Aber dies dürfte auch der Zweck der Handlung gewesen sein: Die Behauptung, Homöopathie sei etwas Tolles, durch wissenschaftlich aussehende Schriftstücke zu untermauern. Es ist nur erstaunlich, welcher Aufwand betrieben werden musste, die an sich schon armseligen Ergebnisse auch zu erzielen!
Danke
Vielen Dank dem gerne anonym bleibenden Künstler skt_johann für die zur Verfügung gestellte Zeichnung.
Literatur
[1] Behnke J: Vorteile der Homöopathie für Patienten und das Gesundheitssystem; Webseite der Karl und Veroinka Carstens-Stiftung, Link , abgerufen 30.06.2018
[2] Groß A: Hochpotente Debatte um Globuli, Webseite Medonline , Link abgerufen 30.06.2018
[3] Abenhaim L, Begaud B: EPI3 – Corhort of Patients with Three Common Diseases (Musculoskeletal Pain; Sleep, Anxiety and Depressive Disorders and Upper Respiratory Infections): Study of the Impact of Homoeopathic Treatment; INSERM, Link
[4] Grimaldi-Bensouda L, Begaud B, Lert F et al.: Benchmarking the burdon of 100 diseases: results of a nationwide representative survey within general practices; BMJ Open 2011;1:e000215.doi:10.1136/bmjopen-2011-000215, Link
[5] Grimaldi-Bensouda L, Begaud B, Rissignol M ez al.: Management of Upper Respiratory Tract Infections by Different Medical Practices, Including Homeopathy, and Consumption of Antibiotics in Primary Care: The EPI3 Cohort Study in France 2007 – 2008, PLoS ONE 9(3): e89990.doi:10.1371/journal.pone.0089990, Link
[6] Rossignol M, Begaud B, Engel P et al.: Impact of physicians preferences for homeopathic or conventional medicines on patients with musculoskeletal disorders: results form the EPI3-MSD cohort; PHARMACOEPIDEMIOLOGY AND DRUG SAFETY 2012; 21: 1093-1101. DOI: 10.1002/pds.3316 Link
[7] Grimaldi-Bensouda L, Abenhaim L, Massol J et al.: Homeopathic medical practice for anxiety and depression in primary care: the EPI3 cohort study; BMC Complementary and Alternative Medicine (2016) 16: 125, DOI 10.1186/s12906-016-1104-2, Link
[8] Danno K, Duru G, Vetel JM: Management of Anxiety and Depressive Disorders in Patients >= 65 Years of Age by Homeopath General Practitioners versus Conventional General Practitioners, with overview of the EPI3-LASER Study results; Homeopathy 2018 107 (02):081-089, DOI 10.1055/s-0038-1636536, Link
[9] Grimaldi-Bensouda L, Abenhaim L, Massot J et al: Utilization of psychotropic drugs by patients consulting for sleeping disorders in homeopathic and conventional primary care settings: the EPI3 cohort study; Homeopathy (2015), ?, 1-6; Link
[10] Hahn S: Understanding noninferiority trials; Korean Journal of Pediatrics (2012); 55(11): 403-407 Link
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Vielen Dank für diese ausführliche Analyse einer komplett überflüssigen „Studie“! Aber auch Boiron schwimmen die Felle weg angesichts des Tempos, mit dem derzeit die Homöopathie-Debatte in Frankreich Fahrt aufnimmt. Und soweit der neugierige Beobachter das von hier aus beurteilen kann, ist die Begeisterung selbst der homöopathischen Szene in Frankreich selbst angesichts von EPI3 doch außerordentlich gedämpft…
Nun, vielleicht hat man es mit der provozierten Unübersichtlichkeit sogar für die eigene Klientel ein wenig übertrieben. Die Boiron-Pressekonferenz vom Oktober 2017 zur Studie ist jedenfalls einigermaßen verhallt… obwohl Valérie Poinsot, Executive Vice President von Boiron meinte: „Wir waren überrascht, dass wir so gute Ergebnisse erzielen konnten“. Tja. Man weiß ja nicht, was sie erwartet hatten…
In der aktuellen französischen Debatte versuchte der französische Homöopathische Ärzteverband mit EPI3 gegen die Stellungnahme der EASAC aus dem vorigen Jahr zu punkten. Die Presse wischte das mehr oder weniger vom Tisch. So schrieb Le Monde am 21. Juni 2018:
„Das Syndicat National des Médecins Homéopathes Français (SNMHF), das den EASAC-Bericht in Frage gestellt hatte, erinnerte (im Juni 2018) an eine epidemiologische Studie, die vom Boiron-Labor finanziert wurde, die EPI-3-Studie. Diese Arbeit, die zwischen 2005 und 2012 an fast 8.600 Patienten in 825 Hausarztpraxen (konventionell, homöopathisch, gemischt) durchgeführt wurde, zeige, dass homöopathische Ärzte weniger konventionelle Medikamente mit signifikanten Nebenwirkungen verschreiben, ohne dass die Chancen für den Patienten verloren gingen. Für SNMHF seien auch die geringeren Kosten für die Krankenversicherungen von Bedeutung.
Eine Aussage, die durch eine in Deutschland durchgeführte Studie, die 2015 (gemeint hist hier die neue Witt-Studie aus 2017) in PLoS One veröffentlicht wurde, widerlegt wurde. Bei der Untersuchung der Gesundheitsleistungen für 44.500 Menschen wurde festgestellt, dass Homöopathieanwender höhere Kosten verursachen als allein konventionell behandelte Patienten.
Im Übrigen: Wer mit dem Begriff „Homöopathie“ in der Pubmed-Datenbank sucht, findet seit 2011 589 Referenzen. Die seriösen wissenschaftlichen Artikel gehen alle in die gleiche Richtung, betont Professor Vincent Renard, Präsident des Allgemeinen Hochschullehrerverbandes (CNGE). In der Tat, außerhalb des Blickwinkels von Interessenlagen, seien sie beruflich, finanziell oder weltanschaulich bedingt, ist es offensichtlich, dass es keine pharmakologische Wirksamkeit von Homöopathie gibt. Die Debatte ist seit langem beigelegt.“
Ja, lieber M. Boiron, und nun noch die hier von Dr. Aust säuberlich ausgebreiteten wertlosen Bruchstücke der teuren EPI3-„Studie“ – da nützt ihnen auch ihr gern vorgeführtes Bild von der „Mauer der Moleküle“ nichts, hinter der sich die „quantenphysikalische Wirkweise der kleinsten Teile“ verbergen soll, die die Homöopathie ach so wirksam machen…
Nochmals danke für die kritische Analyse, Norbert!
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