Kritik an der Homöopathiekritik II: „Positive Studien fehlen“

Im zweiten Teil unserer kleinen Serie setzen wir uns weiter damit auseinander, wie die Homöopathiekritiker zu ihrer Aussage kommen, dass es keine belastbare Evidenz dafür gebe, dass die Homöopathie über Placebo hinaus wirksam sei.

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Es gibt keine einzige gute Studie, die beweist, dass Homöopathie wirkt“

… wird uns Homöopathiekritikern seitens des englischen Homeopathic Research Institutes (HRI) im Rahmen seiner Artikelserie „FAQ Homöopathie“ in den Mund gelegt [1]. Diese Aussage ist tatsächlich völlig korrekt, allerdings auch etwas trivial: Eine einzige Studie kann niemals „beweisen“ dass „die Homöopathie“ wirkt. Sie könnte bestenfalls einen Hinweis liefern, dass die Homöopathie für eine bestimmte Indikation eine über Placebo hinausgehende Wirksamkeit aufweisen könnte. Warum das so ist, können Sie unter der Überschrift „Hintergrund: Was sind wissenschaftliche Nachweise“ in diesem  Blogbeitrag nachlesen.

Es gibt keine belastbare Evidenz dafür, dass die Homöopathie bei irgendeinem Krankheitsbild eine über Placebo hinausgehende Wirksamkeit aufweist“

… ist die richtige, nicht mehr triviale weil widerlegbare und damit überprüfbare Aussage der Homöopathiekritiker. Auch wenn das HRI unsere Aussage nicht in dieser Form als Aufhänger verwendet, ist klar, dass man etwas Ähnliches meint und dagegen argumentiert. Dabei ist das Aufzählen von Beispielen in diesem Fall durchaus eine ernsthafte Argumentation, denn zu dieser allumfassenden Aussage („Es gibt keine…“) genügt ein Gegenbeispiel, um sie zu widerlegen.

Hintergrund: Was ist belastbare Evidenz?

Nach dem gegenwärtigen Standard besteht Evidenz aus klinischen Studien, die als placebokontrollierte, randomisierte und doppelt verblindete Kontrollstudien gestaltet sind. Auch dies ist im ersten Teil unserer Serie ausführlich dargelegt.

Einzelne Studien können jedoch keine belastbare Evidenz darstellen. Evidenz setzt mindestens voraus, dass eine Studie unabhängig repliziert wurde, das heißt, von einem anderen Forscherteam an anderen Patienten wiederholt wurde und dabei ähnliche Ergebnisse erzielt wurden. Da es zumeist nicht einfach ist, unterschiedliche Studienergebnisse zu bewerten, ist für die Beurteilung ein systematisches Review erforderlich, in dem alle zum Thema vorliegenden Studien zusammenfassend bewertet werden.

Ein wesentlicher Punkt der Bewertung von Einzelstudien ist deren Qualität, die sich dadurch ausdrückt, wie zuverlässig sie den wahren Sachverhalt wiedergeben, wofür einige Kriterien erfüllt sein müssen. In neuerer Zeit wird dazu in einem von der Cochrane Collaboration empfohlenen Verfahren der „Risk of Bias“ bewertet [2, Kap. 8], also ob ein hohes, unklares oder niedriges Risiko dafür vorliegt, dass die Studie den wahren Sachverhalt verzerrt darstellt. Ein hohes Risiko wäre schlecht, ein niedriges wäre gut.

Um dieses Risiko einer Verzerrung zu ermitteln, wird im Wesentlichen anhand eines Kriterienkatalogs bewertet, ob die Verfahren für die Verblindung und die Randomisierung ausreichend waren, sowie ob die Ergebnisse vollständig vorliegen, also für alle Patienten alle ermittelten Daten berichtet werden. Diese Angaben müssen die Autoren im Text ihrer Studie liefern, damit dieses Risiko bewertet werden kann. Anderenfalls gilt es als „unklar“, was einer mittleren Bewertung gleichkommt.

Selbstredend kann belastbare Evidenz nur aus Ergebnissen hochwertiger Studien bestehen, deren Ergebnisse mit einiger Wahrscheinlichkeit korrekt sind, das heißt, wahrscheinlich den wirklichen Sachverhalt abbilden. Wenn beispielsweise die Verblindung nicht zuverlässig funktioniert, dann werden Patienten der Placebogruppe, die dann sicher wissen, dass sie keine wirksame Arznei erhalten haben, irgendwelche positiven Entwicklungen natürlich nicht mit der Therapie in Verbindung bringen. Bei Patienten, die die Arznei erhalten haben, verhält es sich umgekehrt: sie werden positive Änderungen erwarten und diese entsprechend feinfühlig registrieren. Da in den Studien zur Homöopathie zumeist die Patienten selbst die Veränderungen bewerten, ergibt dies einen wesentlich stärkeren Unterschied zwischen den Gruppen als er real vorliegt.

Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass Probleme mit der Qualität dazu führen, dass die auftretenden Effekte in eine positiven Richtung verzerren, übrigens nicht nur die fehlende Verblindung, sondern auch die anderen Qualitätsprobleme [2, Kap. 8.5].

Zusammengefasst: Zuverlässige Evidenz besteht aus einer Reihe von unabhängigen qualitativ guten Studien, die zusammengefasst einen Nutzen der Homöopathie über Placebo hinaus aufzeigen.

Das HRI weist durchaus darauf hin, dass noch mehr Forschung erforderlich sei, die vorliegenden vielversprechenden Studien zu replizieren, dies also noch nicht im eigentlich erforderlichen Umfang geschehen ist. Nun ist es aber ohne Zweifel so, dass eine unabhängige Replizierung, also die Wiederholung mit ähnlichen Ergebnissen, gelingen kann oder eben auch nicht. Hier sind wir in einer etwas unklaren Position: Einerseits können die Homöopathen nicht unterstellen, dass die Replizierung in jedem Fall gelingt, andererseits können die Kritiker nicht belegen, dass es nicht möglich ist, dass eine Replizierung gelingt. Demzufolge beschreibt die Aussage, dass es keine belastbare Evidenz gebe, die gegenwärtige Situation wissenschaftlich korrekt, ohne auszuschließen, dass sich dies in Zukunft ändern könnte. Dies ist damit auch der stärkste Vorbehalt zur Evidenz, den man treffen kann. Alles, was darüber hinausginge, müsste auf Annahmen und Vermutungen beruhen. Insofern ist die obige Aussage, dass es (derzeit) keine belastbare Evidenz gebe, vollkommen korrekt formuliert und müsste eigentlich auch unstrittig sein.

Welche Ergebnisse liegen vor?

Das HRI führt jedoch einige Indikationen und Studien an, um damit die obige Aussage der Kritiker zu widerlegen. Diese seien hier im Überblick vorgestellt:

(1) Individualisierte homöopathische Behandlung von Durchfall bei Kindern

Angeführt wird ein Review von Jacobs et al. in dem drei Arbeiten ihres eigenen Teams zusammengefasst werden [3], die alle nach dem gleichen Protokoll durchgeführt worden waren. Dies ist also sicher keine zusammenfassende Betrachtung unabhängiger Wiederholungen. Auf diese Weise kann man nämlich keine Fehler im Protokoll oder in der Durchführung erkennen, die auf Irrtümer des Studienteams zurückgehen.

Im Review von Jacobs werden drei Arbeiten betrachtet:

  • Jacobs (1993) mit einer geringen Zahl von Kindern in Nicaragua [4]
  • Jacobs (1994) mit einer größeren Zahl von Kindern ebenfalls in Nicaragua [5]
  • Jacobs (2000) mit Kindern in Nepal [6].

Die CORE-Hom-Datenbank der Carstens-Stiftung [7] nennt für diese Indikation nur noch eine weitere Arbeit (Cadena (1991)), bei der aber keine statistische Auswertung vorläge. Die obigen Arbeiten geben also den auswertbaren Bestand vollständig wieder.

Diese drei Arbeiten wurden bereits im systematischen Review von Mathie (2014) bewertet und deren Qualität beurteilt [8]: Alleine die Arbeit aus 1994 konnte mit einem mittleren Risiko einer Verzerrung bewertet werden, den anderen beiden wurde ein hohes Risiko attestiert, also eine schlechte Qualität.

Schlussfolgerung: Aufgrund der mangelnden Qualität der vorliegenden Studien liegt für die homöopathische Behandlung von kindlichem Durchfall keine belastbare Evidenz vor. Es sei darauf hingewiesen, dass auch für die Nicht-individualisierte Therapie von kindlichem Durchfall der Versuch gescheitert ist, einen Wirknachweis zu erbringen [6a]

(2) Individualisierte homöopathische Behandlung von Ohrentzündung (Otitis Media) bei Kindern

Das HRI führt hier zwei Arbeiten an,

  • Jacobs (2001)[9]
    Im Review von Mathie (2014) wird diese Arbeit nur als von mittlerer Qualität bewertet [8]. Es konnte in dieser Vorab-Studie kein statistisch signifikantes Ergebnis erzielt werden, die aufgetretenen geringen Vorteile der Homöopathie gegenüber Placebo sind also wahrscheinlich als Zufallseffekte anzusehen. Um diese sicher nachzuweisen, schreiben die Autoren, wäre eine erheblich größere Studie erforderlich (243 ausgewertete Testpersonen, nicht nur 72, wie in dieser Arbeit).
  • Sinha (2012)[10]
    Dies ist nach den Angaben der Autoren nur eine Pilotstudie, die unverblindet durchgeführt wurde und schon aus diesem Grunde keine belastbare Evidenz bilden kann. Für diese Arbeit liegt noch kein Ergebnis eines Reviews vor. Es erscheint aber etwas fragwürdig, bei einer Krankheit, die nach der entsprechenden Leitlinie zu 78 % innerhalb von zwei bis sieben Tagen spontan ausheilt [10a], den Therapieerfolg anhand von Beobachtungszeitpunkten 3, 7, 14 und 21 Tagen zu beurteilen, und das sogar im Vergleich zur Therapie mit Antibiotika, die in der Kontrollgruppe in über 95 % der Fälle angewandt wurde. Wobei anzumerken ist, dass nach drei Tagen in jedem Fall Antibiotika gegeben wurden, ohne dass eine bakterielle Ursache für die Entzündung verifiziert wurde.

(Anmerkung: Die Studie wurde 2009 / 2010 in Indien durchgeführt, ein Rückschluss auf den Einsatz von Antibiotika bei hiesigen Ärzten ist daher nicht möglich.)

Im Review des australischen Gesundheitsministeriums findet sich noch die Arbeit von Harrison (1999), die als von schlechter Qualität bewertet wurde [19].

Die CORE-Hom Datenbank listet noch eine verblindete und randomisierte Kontrollstudie auf [7]. In dieser Arbeit von Mössinger (1985) wurden die Daten von nur 38 Kindern analysiert. Nach den Angaben in der Datenbank wurde kein signifikanter Vorteil gegenüber Placebo erzielt.

Schlussfolgerung: Hier gibt es keine einzige Studie, die ein belastbar positives Ergebnis erbracht hätte.

(3) Einsatz des Homöopathischen Mittels Galphimia glauca gegen Heuschnupfen

Hier verweist das HRI auf eine Arbeit von Wiesenauer (1996), die ein systematisches Review im Wesentlichen seiner eigenen Arbeiten zu diesem Thema darstellt [11]. Er kommt zwar zu einem positiven Ergebnis, allerdings sehen andere Autoren das anders:

In der Arbeit Linde (1997) werden vier Arbeiten von Wiesenauer untersucht [12], die in Summe einen positiven Effekt ergeben (Quotenverhältnis 2,03 zu Gunsten der Homöopathie), dennoch kommt Linde zu dem Schluss, dass er keine Indikation gefunden habe, für die es hinreichende Belege gebe, dass die Homöopathie über Placebo hinaus wirksam sei. Ganz offensichtlich beruht diese Einschätzung auf der fragwürdigen Qualität der eingeflossenen Studien.

Mathie (2017) kommt bei den Arbeiten von Wiesenauer zu einer ungenügenden Qualitätsbewertung (1 x mittel, 2 x schlecht) und hat noch zwei andere Arbeiten in seine Meta-Analyse zum Heuschnupfen („Allergische Rhinitis“) eingeschlossen [13]. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass belastbare Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie in irgendeinem Krankheitsbild fehle.

Das Review des australischen Gesundheitsministeriums kommt zu dem gleichen Ergebnis.

Schlussfolgerung: Außer dem Autor der wesentlichen Studien zu diesem Thema sind sich alle Reviews darin einig, dass es keine belastbare Evidenz gebe. Da der Hauptautor selbst wahrscheinlich eher zugunsten seiner Ergebnisse voreingenommen sein dürfte, überwiegt die negative Einschätzung aus den drei anderen Reviews.

(4) Einsatz von Pollen C30 als isopathisches Mittel gegen Heuschnupfen

Hier wird eine Studie von Reilly (1986) angeführt [14], die in der Tat von den meisten Reviewern als qualitativ hochwertig angesehen wird – außer Mathie (2017), hier wird diese Arbeit infolge unklarer Darstellung der Verblindung und wegen mangelnder Vollständigkeit der dargestellten Ergebnisse als qualitativ schlecht eingestuft [13].

Auch wenn man zugestehen muss, dass hier eine von den meisten Reviewern als gut bewertete Studie zu einem positiven Ergebnis kommt, so fehlt doch – seit nunmehr über 30 Jahren – eine unabhängige Replizierung dieser doch für die Homöopathie vielversprechenden Arbeit. Warum das so ist, muss offen bleiben: ob der Versuch einer Replizierung misslungen oder nicht erfolgt ist, kann nicht beurteilt werden.

(5) Einsatz des homöopathischen Mittels Oscillococcinum zur Behandlung von Grippe

Das HRI nennt eine Arbeit, in der nachgewiesen worden sei, dass Oscillococcinum bei Grippe wirksam sein soll. Diese Arbeit von Mathie (2012) ist ein Cochrane-Review, also ein nach strengen Regeln ausgeführtes systematisches Review [15] und wäre, wenn die Aussage des HRI zutreffen würde, tatsächlich eine belastbare Evidenz.

Zunächst ist festzustellen, dass es nicht um die Grippe (Influenza) geht, sondern um grippale Infekte, also normale Erkältungen. Dann kommt Mathie, der für das Homeopathy Research Institute arbeitet, also kein Homöopathie-Gegner ist, zu dem Schluss:

Es gibt nicht genügend gute Nachweise, um solide Schlussfolgerungen über Oscillococcinum zur Verhütung oder Behandlung von Grippe oder grippalen Infekten zu ziehen. Unsere Ergebnisse schließen die Möglichkeit nicht aus, dass Oscillococcinum einen nützlichen klinischen Effekt haben könnnte, wegen der niedrigen Qualität der in Betracht kommenden Studien sind die Nachweise nicht überzeugend.“

Nun, ein belastbarer Nachweis für durchgreifende positive Effekte sieht anders aus.

(6) Einsatz des homöopathischen Komplexmittels Vertigoheel gegen Schwindel

Bei der angeführten Arbeit von Schneider et al. aus dem Jahr 2005 handelt es sich um ein Review von vier Arbeiten, die das Mittel Vertigoheel zur Therapie von Schwindel im Vergleich zu anderen Therapien untersuchten [16]. Nur zwei der Arbeiten (Weiser 1998 [17] und Issing 2004 [18]) waren randomisierte Vergleichsstudien. Leider sind diese Arbeiten in den Reviews von Mathie nicht enthalten. Im Review des NHMRC wird der Arbeit von Issing ein mittleres bis hohes Risiko eines Bias zugeordnet, der Arbeit von Weiser ein mittleres Risiko [19].

In allen vier Arbeiten wurde festgestellt, dass sich die Ergebnisse unter Vertigoheel nicht von den Vergleichstherapien unterschieden – was allerdings nur dann etwas aussagt, wenn bekannt ist, dass diese Vergleichsbehandlungen prinzipiell über Placebo hinaus wirksam sind und im Rahmen der Studien auch richtig angewendet wurden.

Bemerkenswert ist hier, dass, wenn Vertigoheel tatsächlich wirksam gewesen sein sollte, dies eher gegen die Lehre der Homöopathie spricht. Die Verschreibung erfolgte ja nicht durch eine in einer ausführlichen Anamnese festgestellten individuellen Ähnlichkeit zwischen Symptom- und Arzneimittelbild, sondern aufgrund der oberflächlichen Diagnose „Schwindel“, die übrigens in der Universitätsmedizin ganz verschiedene Ursachen haben kann. Zweitens handelt es sich um ein Komplexmittel aus verschiedenen Homöopathika, was ebenfalls nach homöopathischer Lehre einen Heilerfolg zumindest sehr erschwert. Es sei am Rande vermerkt, dass die Komplexmittel der Fa. Heel nach deren Selbstverständnis auch keine Homöopathika sind, sondern entsprechend der Homotoxikologie wirken sollen, eine Heilslehre, die auf dem Entgiften des Körpers beruht und nicht auf der Beeinflussung der Lebenskraft wie in der Homöopathie [20].

Schlussfolgerung: Es gibt auch hier keine belastbare Evidenz, dass die Homöopathie eine wirksame Behandlung für diese Beschwerden darstellt. Die Qualität der betrachteten Studien spricht eher dagegen, dass es sich um valide Ergebnisse handelt, wenn man dies aber dennoch unterstellen will, dann spräche dies gegen die postulierten Prinzipien der Homöopathie.

Bewertung

Man könnte allenfalls bei einem der vom HRI angegebenen Beispiele unterstellen, dass es eine einzige gute Studie gibt, die positive Effekte aufgezeigt hat. Je nach Sichtweise gibt es unterschiedlich viele verschiedene Indikationen, für die Studien zur Homöopathie vorliegen: Die Faculty of Homeopathy nennt auf ihrer Webseite 61, im NHMRC-Review wurden 85 verschiedene Krankheitsbilder untersucht, in der CORE-Hom Datenbank sind hunderte Indikationen aufgeführt, allein unter dem Buchstaben „A“ sind es über 50. Da ist es völlig zu erwarten, dass bei einem Risiko eines Alpha-Fehlers von 5 % ein paar wenige Studien auftauchen, die bei guter Qualität zu einem positiven Ergebnis geführt haben. Insofern ist die eine Arbeit von Reilly eher die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Klinische Relevanz

Bekanntlich stellt die Homöopathie einen recht hohen Anspruch bezüglich ihrer Wirksamkeit auf:

„Ein sorgfältig ausgewähltes homöopathisches Arzneimittel kann schnell, sanft, sicher, nebenwirkungsfrei und dauerhaft die Symptome auch schwerer, akuter und chronischer Erkrankungen, wie Migräne, Neurodermitis, Asthma bronchiale, Colitis, Rheumatismus u.v.a. deutlich lindern – bis hin zur Beschwerdefreiheit. Dies gilt auch für akute Krankheiten bakterieller oder viraler Natur.“ [21]

Dies schreibt immerhin die Vorsitzende des Zentralvereins homöopathischer Ärzte, quasi die oberste deutsche Homöopathin, auf ihrer Praxishomepage. Hiernach darf der Patient, der sich für eine homöopathische Therapie entscheidet, erwarten, dass sich sein Befinden durchgreifend verbessert, und zwar entscheidend stärker bessert als wenn er gar nichts unternommen hätte. Es müsste sich also in den Studien nicht nur eine statistische signifikante Verbesserung gegenüber Placebo ergeben – also dass man die Wirkung von einer Nicht-Behandlung überhaupt unterscheiden kann – sondern diese müsste auch klinisch relevant sein, das heißt für den Patienten einen deutlich bemerkbaren Vorteil ergeben.

Die klinische Relevanz in einer Studie ergibt sich aus zwei Aspekten: Zum einen die Frage, ob die Studienautoren ein Merkmal als Bewertungskriterium ausgewählt haben, das auch in den Augen der Patienten so sehr von Bedeutung ist, dass sich daran Erfolg von Misserfolg unterscheiden lässt. Zum anderen muss allerdings auch der aufgetretene Unterschied fühlbar sein. Unabhängig von der Qualität der vom HRI benannten Studien – also deren Glaubwürdigkeit – sei kurz beleuchtet, was die Studien, die die Homöopathie mit Placebo vergleichen, eigentlich aussagen:

Kindlicher Durchfall:
Jacobs wählt beim kindlichen Durchfall die Zahl der Durchfälle am dritten Tag nach Behandlungsbeginn. Zu diesem Zeitpunkt sind in beiden Gruppen die Häufigkeiten deutlich gesunken, von durchschnittlich 7,7 Ereignissen auf 3,1 in der Kontrollgruppe und 2,1 unter der homöopathischen Behandlung, ein Unterschied von nur einem Ereignis pro Tag, der an Tag 4 dann verschwunden ist. Am vierten Tag gibt es in der Homöopathiegruppe nur noch 2,0 Ereignisse, in der Kontrollgruppe sind es 2,1, also kaum unterscheidbar. Der dritte Tag ist übrigens der einzige, an dem die Daten ein signifikantes Ergebnis bedeuten. Der Unterschied von einem Ereignis am dritten Tag ist für die Familie sicher eine gewisse Entlastung – aber eine durchgreifende Verbesserung gegenüber Placebo?

Ohrenentzündung:
Die placebokontrollierte Studie von Jacobs ergab noch nicht einmal einen signifikanten Vorteil, weshalb man sich über klinische Relevanz keine Gedanken machen muss.

Galphimia glauca bei Heuschnupfen:
Zwei Wochen nach Behandlungsbeginn waren in der Homöopathiegruppe 34 (von 41) Patienten beschwerdefrei oder erfuhren eine deutliche Linderung, in der Kontrollgruppe 21 (von 45) Patienten. Nach vier Wochen waren in der Homöopathiegruppe 30 (von nur noch 37) Patienten beschwerdefrei bzw. hatten eine deutliche Besserung, bei der Kontrollgruppe waren es 20 (von nur noch 35) Patienten [22]. Aus anderen Arbeiten liegen, soweit zugänglich, nur relative Zahlen vor, die keine Beurteilung der Relevanz zulassen.

Ob dies ein fühlbarer Effekt ist, sei hier offen gelassen.

Pollen C30 gegen Heuschnupfen:
In der Arbeit von Reilly wurde die Schwere der Heuschnupfen-Symptome ermittelt, indem die Patienten diese selbst täglich auf einer Skala von 0 bis 100 (0 = gar nicht, 100 = extrem schlecht) bewerteten. Der Mittelwert betrug zu Anfang in beiden Gruppen jeweils etwa 45 Punkte, allerdings mit einer starken Streuung. Diese Streuung zeigte sich auch in den Veränderungen: In der Homöopathiegruppe ergaben sich Werte von einer Verbesserung um 80 Punkte bis zu einer Verschlechterung um 50 Punkte. In der Kontrollgruppe passierte praktisch das Gleiche: Die Spanne reichte von einer Verbesserung um 80 Punkte bis zu einer Verschlechterung um 60 Punkte. Hätten die Patienten ihre Ergebnisse verglichen, sie wären nicht in der Lage gewesen, einzelne Patienten zu identifizieren, deren Ergebnisse so gut oder schlecht waren, sie eindeutig der Homöopathie- oder der Kontrollgruppe zuzuordnen. Der in der Homöopathie aufgetretene höhere Mittelwert der Verbesserung um 17,1 Punkte im Vergleich zu nur 2,1 Punkten in der Kontrollgruppe täuscht da einen Unterschied vor, den kein Patient tatsächlich wahrnehmen kann.

Oscillococcinum bei Grippe:
In den beiden Arbeiten von Ferley [23] und Papp [24] wird der Erfolg der Therapie anhand der Genesungsrate am zweiten Tag nach Behandlungsbeginn beurteilt. Hierbei ergibt sich in der Tat ein statistisch signifikanter Vorteil der Homöopathiegruppe – der allerdings nur an diesem Tag vorliegt, weder am Tag davor noch am Tag danach. Dies sei in der Grafik verdeutlicht, der man auch entnehmen kann, wie „durchgreifend“ die Homöopathie gewirkt hat.

Die Grafik stellt die Ergebnisse der Arbeit von Ferley dar [23], die auf gleiche Patientenzahlen in den Gruppen umgerechnet wurden. Von Tag 1 zu Tag 2 hat die Homöopathiegruppe tatsächlich einen kleinen Vorteil erreicht, die parallel verlaufenden Kurven danach zeigen jedoch, dass sonst die Genesungsraten praktisch gleich groß sind.

Die durchschnittliche Abkürzung der Krankheitsdauer lag bei nur etwa 6 Stunden, was bedeutungslos sein dürfte, besonders wenn sich diese nachts zeigen. Das ist mit Sicherheit nicht der Therapieerfolg, den die Patienten erreichen wollen.

Vertigoheel gegen Schwindel:
Kein Vergleich zu Placebo möglich, da das Mittel nicht mit Placebo, sondern mit anderen Therapien verglichen wurde.

Bewertung

Selbst wenn man die mangelnde Belastbarkeit der Studien ignoriert und alleine die Ergebnisse betrachtet, dann ist die Behauptung, dass die Homöopathie hier schnell eine durchgreifende Verbesserung der Situation erzielen könne, in den vom HRI benannten Studien nicht generell nachvollziehbar. Lediglich bei einer, Galphimia glauca bei Heuschnupfen, könnte dies der Fall sein, müsste aber anhand unabhängiger Studienergebnisse noch verifiziert werden.

Quintessenz

Die vom HRI als „gute Studien“ präsentierten Arbeiten erfüllen diesen Anspruch bei Weitem nicht. Es dominieren Studien, die in bereits vorliegenden Reviews zur Homöopathie als von unzureichender Qualität beurteilt wurden. Es könnte allenfalls eine Indikation geben, bei der sich in einer guten Studie ein positives Ergebnis zeigt. Diese vielversprechende Arbeit zur Isopathie bei Heuschnupfen wurde seit nunmehr dreißig Jahren nicht repliziert. Außerdem ist es aus statistischen Gründen zu erwarten, dass selbst gute Studien infolge des Risikos eines Alpha-Fehlers (Wahrscheinlichkeit für falsch-positive Resultate) gelegentlich zu positiven Ergebnissen kommen.

Die aufgetretenen Effekte hingegen sind weitestgehend recht gering und untermauern den Anspruch der Homöopathie, eine durchgreifend wirksame Therapie zu sein und dem Patienten einen fühlbaren Vorteil zu verschaffen, in keiner Weise.

Das Argument II des HRI, es gebe „gute Studien, die eine Wirksamkeit über Placebo hinaus zeigen“,  ist somit entkräftet.

Quellenangaben:

[1] NN.: „Es gibt keine einzige gute Studie, die beweist, dass Homöopathie wirkt“, Webseite des Homeopathy Research Institutes, abgerufen 01.12.2017, Link

[2] Higgins JPT, Green S.: Cochrane Handbook for Systematic Reviews of Interventions; The Cochrane Library, 2008. Link  Kapitel 8: Asessing Risk of Bias

[3] Jacobs J, Jonas WB, Jiminez-Perez M et al.: “Homeopathy for childhood diarrhea: combined results and metaanalysis from three randomized, controlled clinical trials“, Pediatr Infect Dis J (2000);22:228-234 Link

[4] Jacobs J, Jiminez LM, Gloyd S et al.:“Homoeopathic treatment of acute childhood diarrhea – a randomized clinical trial in Nicarague“, British Homeopathic Journal(1993);82:83-86

[5] Jacobs J, Jiminez LM, Gloyd SS et al.: “Treatment of Acute Childhood Diarrhea with Homeopathic Medicine: A Randimized Trial in Nicaragua“, Pediatrics(1994);93(5):719-725 Link

[6] Jacobs J, Jiminez M, Mathouse S et al.: “Homeopathic Treatment of Acute Childhood Diarrhea: Results from a Clinical Trial in Nepal“, Journal of Alternative and Complementary Medicine(2000);6(2):131-139 Link

[6a] Jacobs J, Guthrie BL, Montes GA et al.: “Homeopathic Combination Remedy in the Treatment of Acute Childhood Diarrhea in Honduras“, Journal of Alternative and Complementary Medicine (2006);12(8):723-732, Link

[7] NN: “CORE-Hom database, A database on Clinical Outcome Research in Homeopathy“, Datenbank der Carstens-Stiftung, zugänglich nach kostenfreier Registirerung, Link

[8] Mathie RT, Lloyd SM, Legg LA et al.: “Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis“, Systematic Reviews 2014;3:142, Link

[9] Jacobs J, Springer DA, Crothers D: “Homeopathic treatment of acute otitis media in children: a preliminary randomized placebo-controlled trial“, Pediatr Infect Dis J (2001);20(2):177-83 Link

[10] Sinha MN, Siddiqui VA, Nayak C et al.: “Randomized controlled pilot study to cpmpare Homeopathy and Conventional therapy in Acute Otitis Media“, Homeopathy (2012);101:5-12, Link

[10a] NN: DEGAM-Leitlinie Nr. 7: Leitlinie „Ohrenschmerzen“, aktualisierte Fassung 2014, Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, AWMF-Registernummer 053/009 Link

[11] Wiesenauer M, Lüdtke R:“A Meta-Analysis of the Homeopathic treatment of Pollinosis with Galphimia Glauca“, Forschende Komplementärmedizin (1996);3:230-234, Link

[12] Linde K, Clausius N, Ramirez G et al.: “Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? A meta-analysis of placebo-controlled trials“, The Lancet (1997);350:834-843 Link

[13] Mathie RT, Ramparsad N, Legg LA et al.: “Randomised, double-blind, placebo-controlled trials of non-individualised homeopathic treatment: Systematic review and meta-analysis“, Systematic Reviews 2017;6:663 Link

[14] Reilly TR, Taylor MA, McSharry C et al.: “Is homeopathy a placebo response? Controlled trial of homoeopathic potency, with pollen in hayfever as model“, The Lancet (1986) 328:8512:811-816 Link

[15] Mathie RT, Frye J, Fisher P:“Homeopathic Oscillococcinum (R) for preventing an treating influenza and influenzy-like illness (Review)“,Cochrane Database of Systematic Reviews 2012 Issue 12 Art.No.: CD001957 Link

[16] Schneider B, Klein P, Weiser M: “Treatment of Vertigo with a Homeopathic Complex Remedy Compared with Usual treatments“, Arnzneim.-Forsch./Drug Res.(2005);55(1):23-29 Link

[17] Weiser M, Strösser W, Klein P: “Homeopathic vs. Conventional Treatment of Vertigo: A Randomized Double-blind Controlled Clinical Study“, Arch Otolaryngol Head Neck Surg. (1998);124(8):879-995 Link

[18] Issing W, Klein P, Weiser M: “The Homeopathic Preparation Vertigoheel(R) Versus Gingko biloba in the Treatment of Vertigo in an Elderly Population: A Double-Blinded, Randomized, Controlled Trial“, J. Altern. Complement. Med. (2005);11(1):155-160 Link

[19] National Health and Medical Research Council. 2015. “NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions “, Canberra: NHMRC;2015 Link

[20] NN: Homotoxicologie, Eintrag in der Homöopedia.eu Link

[21] Eintrag „Homöopathie“ auf der Praxiswebseite C. Bajic Link  – abgerufen 25.11.2017

[22] Wiesenauer M, Häussler S, Gaus W: “Pollinosis-Therapie mit Galphimia Glauca, Fortschr. Med (1983);101(17): 811-814“ Link

[23] Ferley JP, Tmirou D, D’Adhemar D et al.: “Evaluation of a Homeopathic Preparation in the Treatment of Influenza-Like Syndromes“, Br. J. clin Pharmac. (1989);27:329-335“ Link

[24] Papp R, Schuback G, Beck E, et al.: “Oscillococcinum(R) in patients with influenzy-like syndromes: A placebo-controlled double-blind evaluation“, British Homeopathic Journal (1998);87(2):69-76 Link

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