Haidvogl-Studie (2007): Evidenz, die nicht schiefgehen kann, ist keine!

Quasi als Vorbereitung für die weitere Auseinandersetzung mit der Dokumentation der WissHom zum Forschungsstand in der Homöopathie wird hier beispielhaft eine Beobachtungsstudie untersucht, die einen Vergleich zwischen Homöopathie und Hochschulmedizin zum Gegenstand hat. Wie belastbar sind diese Ergebnisse?

Dieser Artikel ist eine Gemeischaftsarbeit von Dr. med. Wolfgang Vahle und mir, wir können somit sowohl aus medizinischer als auch aus theoretischer Sicht die Risiken und Nebenwirkungen solcher Studien behandeln.

In Kürze

In geradezu lehrbuchhafter Weise kann anhand der Studie von Haidvogl zur homöopathischen Behandlung von akuten Beschwerden im Bereich der Atemwege und des Ohres nachvollzogen werden, mit welchen Vorgehensweisen man versucht, die Gleichwertigkeit der Homöopathie zur Hochschulmedizin zu belegen. Banale leichte Infekte, die von selbst vergehen, werden homöopathisch und konventionell behandelt. Wenn man dann doppelt so lange wartet, wie diese Beschwerden normalerweise andauern, dann sind sie in beiden Gruppen weitestgehend abgeklungen, egal, was die Therapie nun ausgerichtet hat. Dies ist kein Nachweis, denn die Möglichkeit, dass dieser Test ein negatives Ergebnis zeigt, ist von vorneherein ausgeschlossen.

Dann wird dieses bei vielleicht lästigen aber unbedeutenden Beschwerden erzeugte Ergebnis in der Schlussfolgerung überinterpretiert und verbal auf alle akuten Beschwerden der Atemwege und des Ohres übertragen, was auch schwerwiegende Erkrankungen beinhalten kann. Fertig ist die Evidenz.

Wir bitten zu beachten: Wir unterstellen hiermit den Forschern ausdrücklich nicht, dass sie wissentlich ein irreführendes Ergebnis erzeugt und publiziert haben, das geeignet sein könnte, den Patienten zu für ihn nachteiligen Handlungsweisen zu veranlassen. Es kann schließlich auch andere Gründe geben, warum die Forscher nicht erkannt haben, dass ihr Vorgehen ungeeignet war, die berichteten Ergebnisse zu ermitteln.

In Länge

Vorgehensweise der Studie

In der Studie von Haidvogl et al. [1] wird dem Titel nach die Wirksamkeit einer individuellen homöopathischen Therapie mit Einzelmitteln in der Erstversorgung bei akuten Beschwerden der Atemwege und des Ohres im Vergleich zur konventionellen Behandlung untersucht. Als Erstversorgung kann man sich die Behandlung beim Allgemeinarzt vorstellen, dem Hausarzt, aber nicht beim Facharzt der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde.

Die Erhebung fand zwischen 1998 und 2000 statt. Die Arbeit wurde aber erst im September 2006 zur Veröffentlichung eingereicht, und auch dann hat es einige Zeit gedauert, bis zum März 2007, bis sie auch veröffentlicht wurde.

Die Daten wurden in insgesamt 57 Praxen der medizinischen Erstversorgung in acht Ländern erhoben. Die Patienten ließen sich (in den allermeisten Fällen) aus eigener Entscheidung homöopathisch oder hochschulmedizinisch behandeln. Die Länder waren Österreich, Deutschland, die Niederlande, Russland, Spanien, Ukraine, das Vereinigte Königreich und die USA, wobei die Daten aus USA und Spanien nicht verwendet werden konnten. Insgesamt wurden die Daten von 1577 Patienten ausgewertet, die wenigstens eine erste Nachuntersuchung sieben Tage nach der Behandlung absolviert hatten („Full set“). An der nächsten Kontrolle nach insgesamt 14 Tagen nahmen noch 1116 Patienten teil („Per protocol“).

Es wurde zwischen rein homöopathisch behandelnden Praxen, rein konventionellen und solchen, die beide Therapien anwandten, unterschieden. In letzteren konnten sich die Patienten für eine der beiden Richtungen entscheiden oder auch dafür, per Zufall einer Gruppe zugeordnet zu werden, was die meisten Patienten allerdings ablehnten. Letztendlich gab es zwei Gruppen, homöopathisch und konventionell behandelte Patienten, die sich in den meisten Fällen ihrer Vorliebe entsprechend die Behandlungsform ausgesucht hatten.

Im Vergleich zu einer placebokontrollierten randomisierten doppelt verblindeten Vergleichsstudie (PCT) zeigte das Studiendesign folgende Unterschiede:

  • Es erfolgte keine Randomisierung, das heißt, die Gruppen hatten nicht unbedingt die gleiche Ausgangslage. Gruppenspezifische Unterschiede zwischen Anhängern der Homöopathie und der Hochschulmedizin finden sich in den Gruppeneigenschaften wieder und könnten das Ergebnis beeinflussen.
  • Es gab keine Verblindung, weder bei den Patienten, noch bei den behandelnden Ärzten. Das heißt, die unterschiedlichen Vorgehensweisen in der homöopathischen und der konventionellen Behandlung können zu unterschiedlichen Kontexteffekten führen, die auf das Ergebnis durchschlagen.

Vom Typ her ist dies also eine reine Beobachtungsstudie, genauer eine Kohortenstudie, bei der zwei Gruppen („Kohorten“) zu zwei verschiedenen Zeitpunkten betrachtet und die Unterschiede in den Entwicklungen ermittelt werden. Auch solche Studien werden häufig durchgeführt, etwa in Fällen, in denen eine PCT aus ethischen Gründen nicht möglich ist, oder aber, wenn man überhaupt auf mögliche Zusammenhänge stoßen will.

Non-inferiority Studie

Gleichzeitig handelt es sich aber auch um eine Studie, in der die Veränderung in der Verumgruppe nicht mit Placebo, sondern mit einer anderen Therapie verglichen wird. Ziel des Nachweises ist, dass die getestete Therapie der Vergleichstherapie mindestens gleichwertig, das heißt nicht unterlegen ist. Daher auch die Bezeichnung als „non inferiority test“ („Nicht-Unterlegenheits-Test“). Im Gegensatz dazu zielt ein Vergleich gegenüber Placebo üblicherweise darauf, die Überlegenheit nachzuweisen, weshalb dieses Verfahren auch „superiority test“ („Überlegenheits-Test“) genannt wird .

Solche Untersuchungen haben auch in der evidenzbasierten Medizin ihre Berechtigung, etwa wenn ein neues Medikament untersucht wird, das gewisse Vorteile gegenüber der Standardtherapie aufweist, etwa geringere Nebenwirkungen oder niedrigere Kosten.

Während ein Vergleich zu Placebo recht einfach zu bewerten ist, kommt beim Non-inferiority-test eine Schwierigkeit hinzu: Es muss beurteilt werden, ob der Test überhaupt geeignet ist, die Gleichwertigkeit beider Behandlungen nachzuweisen. Zeigt sich in einem Placebovergleich eine Überlegenheit des Mittels, dann ist damit auch erwiesen, dass der Test zumindest prinzipiell geeignet war, Unterschiede in den Wirkungen aufzuzeigen. Zeigt sich hingegen beim Gleichwertigkeitstest kein Unterschied zwischen den Gruppen, dann sind prinzipiell zwei Gründe dafür denkbar. Entweder war die Vergleichstherapie wirklich gleichwertig – oder der Test war ungeeignet.

Rainer Lüdtke, damals Statistiker der Carstens Stiftung, zählt einige Möglichkeiten auf, woraus sich eine mangelnde Eignung ergeben kann [2]. Dabei muss offen bleiben, warum ein Vertreter aus einem der bedeutendsten Homöopathie-Interessenvereinigungen dies tatsächlich als „Vorschläge“ präsentiert, wie man mit einer solchen Studie ein positives Ergebnis erzeugen kann, also dafür sorgen kann, dass kein Unterschied zwischen den zu testendem Mittel und der Vergleichstherapie auftritt:

  1. Man definiere eine großzügige Streubreite, was „gleichwertig“ bedeutet.
  2. Man betone den Probanden der Vergleichsgruppe gegenüber die starken Nebenwirkungen und Risiken der Vergleichstherapie. Die Folge wird sein, dass die Therapievorgaben nur begrenzt eingehalten werden und durch den Nocebo-Effekt vielleicht sogar Nebenwirkungen auftreten.
  3. Man sorge dafür, dass eine hohe Anzahl von Patienten die Studie vorzeitig abbricht. Hier schweigt sich Lüdtke allerdings aus, wie man das erreichen kann. Übliche Auswerteverfahren, etwa das Fortschreiben der letzten Beobachtung auf das Studienende, wirken nivellierend auf die Ergebnisse der Gruppen.
  4. Man wähle ein Beurteilungskriterium für den Erfolg, das von der Therapie nicht beeinflusst wird. Beispielsweise kann man einen langen Beobachtungszeitraum wählen, in dem die Erkrankung auf jeden Fall abgeklungen ist. Dann sind beide Gruppen weitgehend beschwerdefrei – und beide Therapien sehen gleich erfolgreich aus.
  5. Man kann die Vergleichstherapie fehlerhaft anwenden, etwa eine zu geringe Dosierung verschreiben, so dass die prinzipiell gegebene Wirksamkeit sich nicht entfaltet.
  6. Man kann einen einseitigen Signifikanztest anwenden im Gegensatz zum üblichen zweiseitigen, was bei gleichen Ausgangsdaten eine um die Hälfte kleinere Wahrscheinlichkeit ergibt, die Grenze der Signifikanz also unbemerkt nach oben verschiebt. Oder imposantere Signifikanzwerte ergibt.

Ich möchte noch zwei Punkte ergänzen:

  1. Man verwende ein Krankheitsbild, das generell als schwer bis gar nicht therapierbar gilt, etwa die häufig auftretenden kleinen Erkältungskrankheiten: Ohne Therapie eine Woche, mit Therapie sieben Tage, sagt der Volksmund.
  2. In der Vergleichsgruppe kann man auch gleich eine ungeeignete Therapie einsetzen, etwa eine virale Infektion mit Antibiotika behandeln. Auch die wirkungsloseste Therapie kann so spektakulär ihre Gleichwertigkeit mit Antibiotika unter Beweis stellen.

Wie man sieht, gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Wir werden sehen, dass Haidvogl et al. tatsächlich einen Teil dieser „Empfehlungen“ berücksichtigt haben.

Studiendetails

Es wurden Patienten betrachtet, die über mindestens eines der fünf nachfolgenden Symptome klagten und bei denen das erste Auftreten nicht länger als sieben Tage zurück lag:

  • Laufende Nase („runny nose“)
  • Rauer Hals („sore throat“)
  • Ohrenschmerzen („ear pain“)
  • Schmerzen in den Nasennebenhöhlen („sinus pain“)
  • Husten („cough“)

Zu jedem dieser sogenannten Hauptsymptome, schreiben Haidvogl et al., wurden fünf bis neun Einzelsymptome auf einer Skala von 0 bis 4 bewertet, wobei der Durchschnitt dann den Messwert für die Intensität ergab. Leider teilen die Autoren nicht mit, welche Einzelsymptome abgefragt und bewertet wurden. Ohne diese Angabe steht man leider etwas im Dunkeln. Wie könnte man sich ein halbes Dutzend Einzelsymptome etwa bei einer laufenden Nase vorstellen?

Wie in der Homöopathie üblich, werden nur die Symptome genannt, nicht die dahinterliegenden Diagnosen, auch für die konventionell behandelten Patienten nicht. Dabei kann sich eine ganz beträchtliche Bandbreite hinter den Symptomen verbergen. Beispielhaft seien für den Husten genannt:

Akute Laryngitis, Akute Tracheitis, Akute Bronchitis, Pneumonie, Keuchhusten, Herzinfarkt, Fremdkörperaspiration, Mukoviszidose, Asthma bronchiale, Asthma cardiale, Bronchialkarzinom, Tuberkulose, Nebenwirkungen bestimmter blutdrucksenkender Medikamente.

Ähnliches gilt für die anderen Hauptsymptome, so dass hier eine ganze Menge denkbarer Befunde vorgelegen haben könnten. Für den behandelnden Hochschulmediziner zumindest sollten eigentlich Untergliederungen der Patientengruppen definierbar sein.

Es wurden Kinder (bis 18 Jahre) und Erwachsene getrennt ausgewertet. Die Patienten wurden jeweils 7, 14 und 28 Tage nach der Konsultation über ihren aktuellen Zustand befragt. Ebenso über den Zeitpunkt, wann sie die erste Verbesserung verspürten. Darüber hinaus wurden die Zufriedenheit mit der Behandlung und dem Therapeuten sowie das Auftreten von Nebenwirkungen ermittelt.

Betrachtet man in den Ausgangsdaten die Intensität der Beschwerden – dann fragt man sich, warum die Leute zum Arzt gegangen sind (Tabelle 2 in der Arbeit):

  • 40,5 % der Kinder in der Homöopathiegruppe klagten als hauptsächliche Beschwerde über Husten – aber die Schwere wird als Durchschnitt nur mit 0,9 angegeben. Auf der Skala von 0 (= nicht vorhanden) bis 4 (= sehr stark) ist das fast nichts.
  • Alle Hauptbeschwerden in allen Gruppen erreichen maximal 1,9. Der Minimalwert liegt bei 0,9, im Durchschnitt liegt die Intensität bei 1,3, erreicht also noch nicht einmal ein mittleres Niveau (das wäre 2,0).

Wer geht dann damit zum Arzt? Jedenfalls mit dem dringenden Wunsch, sich einer Therapie zu unterziehen? Da geht es bestenfalls darum, nervige Symptome, die irgendwie stören, zu lindern, aber ob das eine „Behandlung“ im Sinne einer Herbeiführung einer Heilung ist? „Herr Doktor, geben Sie mir was, das dauernde Schniefen / Husten / Kratzen im Hals nervt!“ Das dürfte der Ausgangspunkt der Behandlung sein.

Natürlich könnten hinter den nur sehr oberflächlich benannten Symptomen, wie schon beschrieben, schwerere Erkrankungen stehen – aber hier ist das ganz offensichtlich nicht der Fall oder zumindest auf Einzelfälle beschränkt, die im Durchschnittswert keine Rolle gespielt haben. Wir haben es also mit den Allerwelts-Bagatell-Beschwerden zu tun, wie sie jeden irgendwann im Jahr heimsuchen, die vielleicht kurzzeitig unangenehm sind und von selbst wieder verschwinden. Linderung der Symptome ist dabei üblicherweise das Ziel. Heilen tut das schon von selbst.

Als Homöopathika wurden 72 verschiedene Mittel verordnet, Potenzen jeweils C12 oder höher, also Hochpotenzen, bei denen rechnerisch noch nicht einmal mehr ein einziges Molekül aus dem eingesetzten Wirkstoff vorhanden war.

Die konventionellen Ärzte verordneten Nasensprays und Schmerzmittel, irgendwelche nicht näher beschriebene Erkältungsmittel, Mundspülungen, sogar in geringem Umfang Asthmamittel. Auch „antibacterials“, also Mittel mit antibakterieller Wirkung, waren dabei.

Frage: was sind „antibacterials“?

Nach der Definition [3] sind damit nicht notwendigerweise Antibiotika gemeint, sondern alle Mittel, die in irgendeiner Form gegen Bakterien wirken. Also beispielsweise auch ein entsprechender Hustensaft. Wie man hier sieht, sind die Aussagen, was in der konventionellen Behandlung eingesetzt wurde, genauso nichtssagend wie die Symptome. Eine große Bandbreite ist denkbar: Eben „Antibacterials“ zwischen Hustensaft auf Kamillebasis und regelrechten Antibiotika. Ähnliches gilt für die anderen Angaben. Angesichts der niedrigen Intensität kann man aber wohl davon ausgehen, dass es sich weitestgehend um die üblichen Allerweltsmittel gehandelt haben mag, die man auch in Eigenregie einsetzen kann.

Der Erfolg der homöopathischen Therapie, das wäre die Gleichwertigkeit zur konventionellen Behandlung, wurde anhand des Behandlungserfolges 14 Tage nach der Behandlung ausgewertet. Und tatsächlich verzeichneten die Patienten – wer hätte das für möglich gehalten?! – in beiden Gruppen im gleichen Ausmaß eine komplette Heilung oder doch eine wesentliche Besserung ihrer Beschwerden, jeweils über 84 %. (Anmerkung: der zu 100% fehlende Anteil ist entweder ein Effekt der Befundfortschreibung für die Studienabbrecher oder der Anteil derjenigen mit schlimmeren Beschwerden, oder eine Mischung aus beidem.)

Allerdings, das ist auch ein ganz brauchbarer Trick, um Ergebnisse zu vergleichen, wurden zwei eigentlich ziemlich unterschiedliche Gruppen zusammengefasst, nämlich ‚vollkommen geheilt‘ und ‚wesentlich verbesserter Befund‘, wobei letzteres nicht nach objektiven Kriterien gemessen wurde, sondern nach der subjektiven Beurteilung der Patienten. Bei einer auf Linderung der Symptome gerichteten Behandlung könnten sich genau hier eigentlich die Unterschiede zeigen. Dann müsste man die Gleichwertigkeit der Therapien anhand der Schwere der Symptome beurteilen – aber das wird nicht dargestellt.

Wie zu sehen, haben Haidvogl und Kollegen einige der Möglichkeiten genutzt, die in einem Non-inferiority-test zu einem positiven Ergebnis führen:

  • Die Abbruchraten waren recht hoch, 33 % zwischen erster und zweiter Nachuntersuchung in der Homöopathiegruppe und immerhin noch 25 % in der Vergleichsgruppe, was nach Lüdtke zu einer Vergleichmäßigung der Daten führt (s. oben).
  • Man wählte für das Hauptkriterium einen hinreichend langen Beobachtungszeitraum, so dass der dann erhobene Befund angesichts der leichten Beschwerden am Anfang nicht mehr vom Therapieerfolg abhängig war.
  • Man hat einen einseitigen Signifikanztest angewendet, allerdings lag das Ergebnis ohnehin im sicher signifikanten Bereich.
  • Man hatte ein Krankheitsbild ausgewählt, Bagatellinfekte, die sich dennoch hartnäckig einer auf Heilung gerichteten Therapie entziehen.
  • Die konventionelle Therapie war nicht auf Heilung gerichtet, sondern auf Linderung der Symptome, was aber im Bericht nicht differenziert wurde.

Die Autoren führen geradezu lehrbuchmäßig vor, wie man ein positives Ergebnis erzeugt: Man wähle eine selbstlimitierende Erkrankung, also Beschwerden, die auch beim Nichtstun von alleine verschwinden, wähle einen Beobachtungszeitraum, der etwa dem Doppelten des normalen natürlichen Verlaufs entspricht und, voilà, schon kommt in beiden Gruppen das gleiche heraus.

Mission accomplished. Auftrag ausgeführt.
Welch ein Unfug!

Schon in der Zusammenfassung der Arbeit geht die Information verloren, dass es sich bei den untersuchten Fällen um sehr milde Fälle gehandelt hat:

Schlussfolgerung: In der Erstversorgung von akuten Beschwerden an den Atemwegen und am Ohr erwies sich die homöopathische Therapie als der konventionellen Therapie nicht unterlegen. (Übersetzung von mir, NA)

Diese Aussage bezieht sich jetzt schon nicht mehr nur auf die Bagatellfälle, die hier untersucht wurden, nein, unter „akuten Beschwerden“ können auch ganz massive gesundheitliche Probleme gemeint sein, z.B.

akute Bronchitis, Asthma bronchiale, Asthma cardiale, Herzinfarkt, Lungenembolie, Bronchialkarzinom, akute Warzenfortsatzentzündung („Mastoiditis“), chronische Mittelohrentzündung, akute Meningitis, Trigeminusneuralgie, Migräne, Hirntumor, Nasennebenhöhlentumore, Fremdkörper in Nase oder Ohren – die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Die berühmt-berüchtigte Dokumentation der Wisshom zum Stand der Forschung zur Homöopathie [4] zitiert die Arbeit wie folgt:

Das Autorenteam publizierte dann 2007 die Daten aus einer größeren multinationalen prospektiven Beobachtungsstudie mit 1.577 Patienten mit akuten Atemwegs- und Ohrenerkrankungen: 857 Patienten erhielten eine homöopathische Therapie, 720 Patienten die konventionelle Therapie. Beide Gruppen zeigten nach 7 Tagen die gleichen Verbesserungen, allerdings erfolgte die Gesundung in der homöopathischen Gruppe rascher.

Tatsächlich waren bereits nach sieben Tagen die Befunde in beiden Gruppen – wie nicht anders zu erwarten – praktisch gleich. Offenbar kam den Autoren der WissHom schon selbst die Erkenntnis, dass es ziemlich wenig aussagt, wenn man die Ergebnisse nach 14 Tagen zur Grundlage des Vergleichs heranzieht. Warum sonst haben sie nicht das Hauptkriterium der Studie zitiert? Und tatsächlich berichten die Autoren dort auch darüber, dass die Heilung unter der homöopathischen Behandlung schneller voran gegangen sei als bei der konventionellen Behandlung.

Haidvogl und Kollegen zeigen in Bild 3, dass die Besserung innerhalb der ersten sieben Tage in der Homöopathiegruppe deutlich schneller erfolgte. Dabei fällt schon bei der oberflächlichen Betrachtung auf, dass mit Bild 3 etwas nicht stimmen kann. Liegen nach den Angaben aus Fig. 2 die Erfolgsquoten zwischen etwa 65 und 79 % am Tag sieben, wird für den gleichen Tag in Fig 3 angegeben, dass der Anteil derer, bei denen die Verbesserung eingesetzt hätte, in den Gruppen nur zwischen 40 und 55 % lag. Die Grafiken passen nicht zusammen und zeigen unterschiedliche Erfolgsraten:

Homöopathisch behandelte Kinder: Fig 2: 69 %, Fig 3: 53 %
Konventionell behandelte Kinder: Fig 2: 64 %, Fig 3: 42 %
Unterschied: Fig 2: 5 %, Fig 3: 11 %

Homöopathisch behandelte Erwachsene: Fig 2 :70 %, Fig 3: 55 %
Konventionell behandelte Erwachsene: Fig 2: 68 %, Fig 3: 47 %
Unterschied: Fig 2: 2 %, Fig 3: 8 %

(Werte grafisch aus Fig 2 und Fig 3 der Arbeit ermittelt).

Bevor wir aber glauben, dass die Behandlung unter der Homöopathie schneller ging, könnten wir einen Blick auf die Ausgangsdaten werfen – wenn es sie für den in diesem Zusammenhang interessierenden Punkt gäbe. Nach den Einschlusskriterien lag bei den Patienten das erste Auftreten der Beschwerden bis zu sieben Tagen in der Vergangenheit. Angesichts des mit auf jeden Fall starken Effekten verbundenen Beobachtungszeitraumes von ebenfalls sieben Tagen eine nicht unerhebliche Unschärfe, praktisch in der Größenordnung der gesamten Krankheitsdauer.

Wenn man die Genesungszeiten bewerten will, wäre es wichtig zu wissen, ob die Startpunkte, also der Zeitpunkt der Therapie im Vergleich zum Einsetzen der Beschwerden, bei beiden Gruppen vergleichbar war. Aber genau das verschweigen uns die Autoren. Wie weit im Durchschnitt bei den Gruppen bei Studienbeginn der Krankheitsbeginn zurückliegt, wird nicht angegeben.

Jetzt wird es bedeutsam, dass die Gruppen nicht durch eine Randomisierung zusammengestellt wurden, sondern den persönlichen Präferenzen der Patienten gefolgt wurde. Im ersten Fall hätte sich sicher angesichts der Gruppengrößen vergleichbare Werte ergeben – aber ohne Randomisierung ist das nicht unbedingt der Fall. Es könnte durchaus sein, dass die Patienten, die die homöopathische Behandlung aus eigener Tasche bezahlen müssen, später zum Therapeuten gehen und von daher auf der Genesungskurve schon weiter fortgeschritten waren als die konventionellen Patienten – was die Unterschiede in den Verläufen in der ersten Woche erklären könnte. (Edit 10.08.2016, Absatz überarbeitet).

Wie man sieht, könnte es unterschiedliche Ausgangsbedingungen gegeben haben – woraus folgt, dass die Betrachtung der Genesungszeiten nur anhand der Endpunkte, aber nicht des Anfangszeitpunktes, ziemlich unsinnig ist.

Ach ja, es sei nur am Rande bemerkt: In der Homöopathiegruppe sind Nebenwirkungen aufgetreten, zwar weniger als bei den konventionell behandelten Patienten. Aber immerhin traten bei 3,1 % der Kinder und 2,0 % der Erwachsenen Erscheinungen auf, die Nebenwirkungen der Behandlungen sein könnten. Dies hat bekanntlich bislang noch nicht dazu geführt, dass das Postulat der Nebenwirkungsfreiheit der Homöopathie gekippt wäre.

Wir können es kurz machen:

Die behauptete Gleichwertigkeit von homöopathischer und hochschulmedizinischer Behandlung ist in dieser Studie nicht durch solide wissenschaftliche Arbeit und geeignete Methoden zustande gekommen. Dies im Hinblick auf die Redlichkeit zu diskutieren, liefe darauf hinaus, den Autoren Vorsatz zu unterstellen, was wir nicht tun. Es kann schließlich auch andere Gründe geben, warum die Forscher das nicht selbst erkannt haben.

Literatur

[1] Haidvogl M, Riley DS, Heger M, Biren S et al.: Homeopathic and conventional treatment for acute respiratory and ear complaints: A comparative study on outcome in the primary care setting, BMC Complementary and Alternative Medicine (2007);7:7 Link

[2] Lüdtke R: Nicht unterlegen, oder doch?, Forsch. Komplementärmed 2006; 13:332-333 (Link)

[3] NN: Definition of Antibacterial, Webseite www.medicinet. com (abgerufen 21.07.2016) (Link) http://www.medicinenet.com/script/main/art.asp?articlekey=10215

[4] WissHom (Hrsg.): Der aktuelle Stand der Forschung zur Homöopathie, Köthen (Anhalt), 2016, Link

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10 Antworten zu Haidvogl-Studie (2007): Evidenz, die nicht schiefgehen kann, ist keine!

  1. borstel sagt:

    Ich dachte nur, wenn schon in Bangladesch Alkohol einfach so in Fläschchen abgefüllt wurde, ohne ihn vorher ordentlich zu verschütteln, wer weiß dann, ob nicht auch big Homöo-Pharma in Europa ihre Medikation fälscht – warum dann noch etwas prüfen wollen, wenn man sich nicht sicher ist? Okay, da war die Satire vielleicht doch zu sehr um die Ecke gedacht…

    Aber völlig d’accord, wenn der DZVhÄ sich nicht auf RCTs einlassen möchte, dann sollen doch wenigstens Hahnemanns Arzneimittelbilder mit seiner eigenen Methode überprüft werden. Warum der Zentralverein es nicht tut? Entweder, weil es ihm zu langweilig ist, oder weil den Verantwortlichen die Prüfungen in den 30er Jahren (Stichwort Donnerreport) mit ihren desaströsen Resultaten noch durch Mark und Bein gehen?!

  2. AlteWeser sagt:

    @borstel
    „…Nun ja, aber…
    … warum sollten denn solche Prüfungen erfolgen,…“

    Arzneimittelprüfungen sind eine Säule der Homöopathie. Sie sind einfach durchzuführen, sollten also schnell zu Ergebnissen führen.

    Es existieren aber keine reproduzierbaren Ergebnisse. Man sollte die Homöopathen viel mehr auf diese Lücke in ihrem Glaubensgebäude festnageln, wo es doch solche eine tragende Säule ist.

  3. borstel sagt:

    Nun ja, aber…
    … warum sollten denn solche Prüfungen erfolgen, wo man noch nicht einmal zuverlässig wissen kann, ob überhaupt irgendwelche Ausgangsstoffe ins Nichts potenziert worden sind:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Hom%C3%B6opathie#Preisgestaltung_und_Gewinnspannen (letzter Abschnitt) – ein absoluter Knaller von Geschäftsmodell übrigens – erspart uns endlich das lästige Einsammeln von Sperma, Entenleber und Honigbienen. Das bringt mich mal auf eine ganz andere Frage: Gibt es denn eigentlich eine Studie, ob eine Korrelation zwischen Vegetarismus und Homöopathieanwendung besteht? Im Gegensatz zu klassischen Arzneimitteln, die heute ja oft komplett aus der Retorte oder der genetisch veränderten Bakterienkultur stammen, müssen hier ja unschuldige Tiere ihr Leben lassen! Bedenken die Homöoveggies das auch bei der Wahl ihrer Mittel?

  4. AlteWeser sagt:

    @ReinerO
    Ich stimme vollständig zu, die Arzneimittelprüfung ist grotesk. Ich finde nur, das Argument wird viel zu selten genutzt.

    Es gibt keine einzige Arzneimittelprüfung einer Hochpotenz, die randomisiert und verblindet reproduzierbare Ergebnisse liefert, trotz 20 Jahren Forschung durch die Carstens Stiftung. Das Fundament der Homöopathie existiert nicht. Bevor die Homöopathen hier keine Ergebnisse bringen, braucht man gar nicht darüber diskutieren, ob Homöopathie jenseits des Placeboeffekts Wirkung zeigt.

    Okehhh, auch mit diesem Argument kommt man nicht weiter. Aber es erspart mir das manchmal ermüdende Eingehen auf Studien. Wobei – da verweise ich lieben gern auf diesen Blog 🙂

  5. RainerO sagt:

    @ AlteWeser
    Die (homöopathische) Arzneimittelprüfung ist ein groteskes und absurdes Theater. Die auftretenden Symptome könnte man genauso gut würfeln.
    Es gab und gibt wiederholte Arzneimittelprüfungen an Homöopathika. Es werden aber neue Symptome einfach dem Arzneimittelbild hinzugefügt. Eine Entfernung alter widersprüchlicher Symptome findet nicht statt.
    D.h., je öfter man das wiederholen würde, desto universaler einsetzbar würde das Mittel werden. Daher werden die Homöopathen genau das nicht machen, weil dann alle sehen würden, wie beliebig dieser Mummenschanz eigentlich ist.

    p.s.: ein Studiendesign, das die „Besonderheiten“ der Homöopathie berücksichtigt, ist sehr wohl möglich. Solche sauber durchgeführten Studien gibt es auch, mit dem üblichen Ergebnis.

  6. AlteWeser sagt:

    Wenn laut DZVhÄ keine Studien möglich sind, so ist und bleibt die Arzneimittelprüfung doch eine Säule der Homöopathie. Mit wenig Aufwänd wäre für jedes Mittel eine Prüfung nach allen Regeln der Kunst möglich.

    Aber es geschieht nicht.

  7. borstel sagt:

    Ja, schon, aber…

    …wie schreibt der DZVhÄ in seiner Stellungnahme gegen die Einschätzung des INH so schön:
    „Fakt ist, dass die Verschreibung von Arzneimitteln in der Homöopathie individualisiert erfolgt. Prinzipiell (und nur etwas vereinfacht) kommt also jedes Mittel für jede Indikation in Frage. Konsequent gedacht bedeutet die erhobene Forderung, dass für jedes homöopathische Einzelmittel (ca. 4.000) und für jede klinische Diagnose (je nach Einteilung ca. 1.000) jeweils eine eigene Studie erforderlich wäre. Wir sprechen hier also von etwa 4 Millionen Studien. Die Kosten einer Doppelblindstudie liegen heute zwischen 200.000 und 800.000 Euro. Bei äußerst konservativer Schätzung handelt es sich hier also um Kosten von etwa einer Billion Euro. De facto würde diese Forderung also ein Verbot der Homöopathie bedeuten. Wenn das intendiert ist, sollte das vom Anti-Homöopathie-Netzwerk auch klar und deutlich ausgesprochen werden.“

    Wie schön, wenn endlich mal die Beliebigkeit der Homöopathie auf den Punkt gebracht ist! Jeder Schulmediziner und Pharmazeut muß sich da mit Grausen abwenden. Vor allem aber: Es ist doch nicht UNSER Problem, wenn die Homöopathie so unscharf ist, daß sich nach Rechnung des DZVhÄ die Studien nicht bezahlen lassen. Es ist das Problem der Homöopathen!

    Die sollten am besten ihre Einkünfte aus der Milchzuckerkügelchenverteilung bei Produzenten von Impfstoffen anlegen, dann werden sie aus den Gewinnen ihre Studien schon bezahlen können. Selbstimmunisierung funktioniert beim DZVhÄ schließlich hervorragend!

  8. Christian Becker sagt:

    Wieder mal interessant zu lesen.
    Was ich mich immer wieder frage:
    Wie kommen die Homöopathen eigentlich auf die Idee, dass der Nachweis einer Wirksamkeit in einer Studie gleich auch die Homöopathie als Ganze für Wirksam erklären würde. Ein Studie zur Wirksamkeit von Tiotropium bei Asthma und COPD genügt ja auch nicht als Nachweis, dass Hochschulmedizin wirksam ist – nein, für jeden neuen Wirkstoff müssen neue Studien her (die dann auch noch – unverschämt! – von den Firmen, die den Wirkstoff vermarkten wollen, finanziert werden und damit – natürlich! – gekauft und nicht vertrauenswürdig sind).
    Wäre es vor dem Hintergrund nicht eine Katastrophe für die Homöopathie, wenn sich, womöglich sogar als falsch-positiver Befund, eine signifikante Überlegenheit über Placebo bei einer Indikation ergäbe? Müsste dann nicht eigentlich die Sonderstellung der Homöopathika gekippt (zumal sie ja nicht nebenwirkungsfrei sind) werden und DHU, Arcana und wie sie alle heißen müssten Studien zu jedem Mittel und den Indikationen vorweisen?

  9. AlteWeser sagt:

    Vielen Dank für die genaue Analyse! Sehr interessant zu lesen.

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